Wir
befinden uns jetzt auf dem längsten Anstieg der Strecke nach Field´s
Hill. Allen geht es gut, wir haben unseren Rhythmus gefunden, die
Temperaturen sind noch moderat. Viele Menschen sind an der Strecke.
Immer wieder laufen wir an Zuschauergruppen vorbei, die sich bei
einem „Bra“ (Grillessen) stärken. Bratwurstgestank, Holzkohlenqualm
und Biergeruch begleiten uns die nächsten Stunden.
Die Stimmung ist euphorisch. Erkennbar durch meine Startnummer und
ein kleines Fähnchen an der Mütze werde ich laufend als
„International“ oder als „German“ begrüßt: „Welcome in South Africa!
Enjoy
the race!
Guten Morgen, Deutschland!
All
the best!“
Vor mir sehe ich ein Trikot mit der Rückenaufschrift „TV Mölln“. Das
muss Thore Joten sein, ein schlachterprobter Haudegen von 67 Jahren,
der es sich noch einmal beweisen will. Es geht ihm ausgezeichnet, er
ist voller Zuversicht. Am Ende wird er es wie viele andere doch
nicht ganz schaffen, weil ihn die Beine 3 km vor dem Ziel nicht mehr
tragen wollen.
Wir
passieren ein College. Die Schüler befinden sich in ihrer
Schuluniform an der Strecke und feuern uns enthusiastisch an.
Inzwischen ist auch der Scheitelpunkt erreicht. Die Entlastung im
Gefälle nach Hill Crest ist nur kurz, bis der Dritte von den „Big
Five“, Botha´s Hill, vor uns liegt. Mir geht es immer noch gut, mein
Optimismus wächst.
Da
kommt die „Wall of Honour“, an der alle Helden vergangener Rennen
auf Plaketten verewigt sind. Viele berühmte Läufer sind darunter,
Bill Rowan und Arthur Newton, die zu den Pionieren gehören, Bruce
Fordyce, der König des Comrades, der große Alberto Salasar und nicht
zuletzt die Deutschen: Charly Doll, Maria Bak, Birgit Lennartz.
Wenig später
sehe ich das große Heim für behinderte Kinder, das wir vor 2 Tagen
im Rahmen der Streckenbesichtigung besucht haben. Die Einrichtung
wird aus den Erlösen des Wohltätigkeitsprogramms des Comrades
unterstützt. Für die Kinder ist der Comrades ein jährlicher
Höhepunkt. Sie jubeln allen Läufern unermüdlich zu. Ich winke zurück
und klatsche viele Hände ab: Alles Gute auch für euch, ihr braucht
es noch viel mehr als wir Läufer!
Auf der linken Seite nehme ich vor mir auf einem Hügel den hohen,
schlanken Sendemast war: Halfway! Bis hier ging es mir vor 2 Jahren
auch noch gut. Das Leiden hat erst nach 50 km begonnen und steigerte
sich bis zum Ziel in Dimensionen, von deren Existenz ich vorher
nichts geahnt habe. Heute habe ich bisher alles unter Kontrolle und
beschließe, jetzt den Teil des Laufes zu genießen, den ich vor 2
Jahren kaum noch visuell wahrgenommen habe. Also, ganz ruhig
bleiben, der eigenen Stärke vertrauen und die Kräfte gut einteilen. |