Peter Samulski erinnert sich an die
"First ever International Indoor 24 Hours Championships" 1990. Ein
24 Stundenlauf in den Arkaden eines Einkaufs-Zentrums
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Das bundesdeutsche
Team mit dem Russen Jurij Esperson (31); Peter Samulsi (19),
Harry A. Arndt (28), Monika Kuno (86), Peter Mann (27),
Karl-Heinz Springer (23), Helmut Schieke (21), Hans-Martin
Erdmann (17) und Renate Nierkens (91). |
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Angefangen hatte es eigentlich schon bei der 5.
Jahreshauptversammlung der DUV am 29.9.89 in Unna-Lünern, also am
Vorabend der 3. DM im 100-km-Lauf. Dort überreichte uns Harry A.
Arndt als Sportwart Einladungen des „Ultra Distance Running
Committee" of the ,,Road Runners Club (RRC)" zu den „First ever
International Indoor 24 Hours Championships" am 3./4, Februar 1990
in Milton Keynes/England. Das Schreiben stammte vom 1. September 89,
war von der „International Assocation of Ultrarunners (IAU)" unter
der Schirmherrschaft der „International Amateur Ahtletic Föderation"
an den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) adressiert und vom
Renndirektor John B. Foden unterschrieben.
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Wir, das waren die Läuferinnen
und Läufer, die entsprechend der Qualifikationsnorm innerhalb der
letzten zwei Jahre bei den Frauen 205 km (125 miles) bzw. bei den
Männern 230 km (140 miles) bei 24-Stunden-Läufen geschafft hatten.
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Außer der Qualifikation musste
für jeden Teilnehmer bescheinigt werden, dass er als nationaler
Repräsentant einen Startpass besitzt, Amateur nach den Richtlinien
des Weltverbandes IAAF ist und noch nicht in Südafrika gestartet
ist.
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Ursprünglich war die
Teilnehmerzahl auf 45 limitiert worden, wobei sich der Veranstalter
vorbehielt, gegebenenfalls die Qualifikationsgrenze anzuheben oder
das Feld aufzufüllen. Im „Main Shopping Centre" von Milton Keynes,
dieser supermodernen, aber wenig schönen Industrie- und Handelsstadt
etwa 80 Meilen nordöstlich von London bei Northampton, sollten nach
1984,1987 und 1989 zum vierten Male ein 24-Stunden-Lauf und zum
ersten Male inoffizielle Welt-, verbunden mit den ersten Britischen
Meisterschaften veranstaltet werden.
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Als Streckenrekord standen bei
den Männern die 262,535 km, die Richard Tout aus Auckland,
Neuseeland am 19.2.1989 gelaufen war, und bei den Damen die 229,993
km, die bei derselben Veranstaltung die Engländerin Eleanor Adams,
Jg. 48, aus Nottingham, geschafft hatte, so wie sie bisher alle drei
Rennen gewonnen hatte, als Bestleistung.
Aufgalopp
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Dank eines großzügigen
Sponsorenpools war es dem Veranstalter schon rechtzeitig möglich,
mindest die nichtenglischen „Overseas"-Athleten für 3 Tage in der „Welcome
Lodge" auf dem Lande zu beherbergen. Vom DLV, der in der Regel bei
nichtolympischen Disziplinen keine Zuschüsse gewähren kann, weil er
dafür vom Innenministerium keine Gelder bewilligt bekommt, war nach
Harrys Verhandlungen lediglich die leihweise Ãœberlassung von
Nationaltrikots zu erreichen, so dass wir für alle erkenntlich als
bundesdeutsche Mannschaften antreten konnten. Aufgrund unserer
Eigeninitiativen erhielten einige von uns Geld- oder Sachspenden von
Herstellern, Firmen und einer Fluggesellschaft, so dass teilweise
auch die Fahrtkosten und die Ausrüstung abgedeckt waren. So wurde es
für uns und unser eingespieltes Betreuerteam, das aus Sigrid Arndt,
Peter Döring, Bernd Haeb, Gudrun Schieke und Ursula Springer
bestand, kein allzu großes Zusatzgeschäft.
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Der Parcours war ein Rundkurs
von 980 m Länge in den Arkaden des zentralen Einkaufszentrums,
vorbei an Geschäften, Restaurants, Büros, sanitären Einrichtungen
und kleinen Gängen. Die Hauptwege waren etwa 10 m hoch und 3 m
breit. Die Belüftung ohne Klimaanlage, auch die vorhandene
Sprinkleranlage wurde nicht benötigt, weil wir nicht ,,heißliefen",
war durch die Öffnung der Außentüren frisch und die Beleuchtung
durch die dezenten Straßenlaternen zwischen den bepflanzten
Mitteltrögen unaufdringlich. Da die Wegeplatten völlig eben waren,
hätte man eigentlich dankbar sein müssen, dass man in der
unberechenbaren Winterzeit unabhängig von Witterungsbedingungen und
Temperaturschwankungen laufen durfte. Noch am Vormittag des
Starttages war ein Orkan mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 168 km
und Schnee- und Hagelschauern über Großbritannien hinweggebraust und
wir hatten uns im warmen Zimmer beruhigt „die Hände gerieben". Ja,
wenn da nicht zu jeder Laufstrecke auch noch ein Boden gehören
würde. Die weißen Marmorplatten waren aber so erbarmungslos hart,
dass jeder Teilnehmer mehr oder minder seinen Tribut zahlen musste.
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Eigentlich sollten zur Startzeit
am Samstagabend um 20.00 Uhr, nach unserer Festlandzeit also um
21.00 Uhr, genau 50 Teilnehmer gestartet werden, aber nach einigem
Hin und Her nahmen dann 54 die Zerreißprobe auf. Jurij Esperson aus
der Sowjetunion war beispielsweise ohne Visum angereist und wurde
deshalb erst einmal für 20 Stunden inhaftiert. Erst gegen Mittag des
Starttages wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt und konnte sich
kaum noch richtig vorbereiten. Noch schlimmer erging es seinem
Landsmann Christenol Valery, der überhaupt erst 3 Stunden nach dem
offiziellen Start in den Lauf einsteigen konnte. Beide schafften
noch je 168,340 km. Da aber schon frühzeitig einige Teilnehmer
ausfielen, konnten die freiwilligen Rundenzähler, die man nur wenige
Sekunden während jeder Umkreisung sah, ihre Arbeit korrekt
abwickeln. Sie hielten zum Zeichen des Erkennens unsere Startnummern
hoch, zeigten die glatten Runden- oder Kilometerangaben an und haben
sich bestimmt nicht verzählt. Zur Kontrolle gab es auch noch
Streckenposten mit Sprechfunkgeräten und eine Videoüberwachung.
Im Glaskasten
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Die 24
Stunden von Milton Keynes, Jurij Esperson (li.) und Peter
Samulski. |
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Die Läden waren um 18.00 Uhr geschlossen worden. Als wir uns auf den
langen Marsch machten, waren wir mit den Offiziellen und Betreuern
fast unter uns. Einige wenige Schaufensterbummler, Lokalgäste und
Skateboarder hinter der Flatterbandabsperrung nahmen wenig Notiz von
uns. Gelegentlichen Applaus gab es nur von den Rundenzählern,
Aufmunterungen vom eigenen Anhang und dem Mitbewerb. In den
Kernstunden der Nacht wurden auch noch die letzten Passanten
ausgesperrt, so dass wir mit ein paar verirrten Spatzen, dem
Reinigungsgeschwader und dem Sicherheits-,,Marshalls" unter
Ausschluss der Öffentlichkeit liefen. Ab und zu drückte sich ein
Nachtschwärmer die Nase platt und wunderte sich wohl, dass wir wie
die Mäuse im Käfig herumliefen — immer im Kreis, alle 6 Stunden mit
Richtungswechsel. Man kam sich zeitweise wie im Aquarium vor. Der
tote Punkt in dieser sternenklaren Februarnacht lag zwischen 1.00
Uhr und 6.00 Uhr, also in der Zeit, in der statistisch die meisten
Kinder geboren werden und die meisten Menschen sterben. In dieser
bedrückenden Phase bekamen viele ihren „Kolbenfresser", vor allem
die Unvernünftigen, die es schon zu Beginn wissen wollten. Bei mir
waren es beide Oberschenkel, die dieser knochenharte Marmorboden
bereits nach 5 Stunden übersäuern ließ. Hätte ich doch bloß auf
unserer Fensterbank trainiert! Die restlichen 19 Stunden waren ein
Durchhaltemanöver mit Schmerzen, Qualen und Verdrängungstricks wie
Walkman, Schuh- und Gangwechsel oder „Colarausch" — andere sah ich
Aspirin schlucken. ,,Lerne leiden, ohne zu klagen", war für viele
die Devise. In diesem Lauf, in dem es scheinbar keinen Selbstschutz
zu geben schien, konnte ich teilweise wenig schöne Bilder sehen. So
lief beispielsweise der spätere Sieger Don Ritchie stundenlang mit
tropfendem Nasenbluten und Verätzungsstäbchen und musste nach seinem
Erfolg sofort ins Hospital gefahren werden.
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Erst als die rote Morgensonne
aufging, erwachte das Leben und Treiben wieder. Die Spaziergänger
kamen nach und nach ins Gebäude, die Restaurants verbreiteten
Geräusche und Gerüche, die Geschäfte wurden für den
Winterschlussverkauf umdekoriert oder erhielten eine Revision und
die Kinder wollten nicht glauben, dass wir immer noch da waren. Die
Minimalbesetzung der Betreuermannschaften wurde wieder aufgestockt,
wobei wir aber zu keiner Zeit vernachlässigt wurden, denn neben den
eigenen Anhängern waren da noch die zwischenmenschlichen Beziehungen
zu den anderen Athleten und ihren Begleitfeldern der insgesamt 13
Nationen und die offiziellen Verpfleger, die Getränke, Obst und
Speisen bereithielten.
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Bei den Männern siegte der
45jährige Schotte Don Ritchie, der mit 267,840 km (166,0429 miles)
einen neuen Indoor-Weltrekord aufstellte. Zweiter wurde der
46jährige Australier Bryan Smith mit 251,501 km, Dritter mit 248,340
km der 41 jährige Amerikaner Roy Pirrung. Als Vierter und damit
erster Deutscher kam auch schon Helmut Schieke, der mit 246,795 km
den bis dahin geltenden Indoor-Weltrekord der über 50jährigen um
16,395 km verbesserte. Mit mir als Achtem mit 234,335 km und
Hans-Martin Erdmann mit 233,442 km als Neuntem holte sich die
deutsche Mannschaft 1 mit zusammen 714,572 km überraschend die
Goldmedaille vor Frankreich, Australien und dem favorisierten
England und wurde damit erstmals die beste Mannschaft der Welt.
Unsere zweite Mannschaft wurde leider vom Verletzungspech ungleich
schwerer betroffen. So wurden für Peter Mann 225,280 km (= 13.
Platz), Karl-Heinz Springer 200,263 km (= 22. Platz) und Harry Arndt
162,033 km (= 30. Platz) gezählt.
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Bei den Frauen gewann
erwartungsgemäß wieder als Gesamt-Siebte Eleanor Adams, die mit
236,651 km ebenfalls den Streckenrekord verbesserte. Zweite und
Gesamt-13. wurde die Engländerin Marianne Savage mit 228,063 km und
als Dritte und zugleich Gesamt-17. folgte bereits Monika Kuno, die
mit 217,965 km die bestehende Indoor-Weltbestleistung ihrer
Altersklasse von 186,499 km deutlich übertraf. Renate Nierkens als
Gesamt34. und achte Frau erreichte 180,719 km.
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Sieben Teilnehmer wurden als
"Ausgestiegen" registriert, sieben weitere mussten nach dem
Abschießen, als die Schmerzen so schön nachließen und die
Gleichgewichtsstörungen in gleichem Maße zunahmen, im Krankenhaus
ärztlich behandelt werden. An der Siegerehrung, die gleich
anschließend in einem nahe liegenden Nobelhotel stattfand, gäbe es
einiges auszusetzen.
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Laufberichte sollten nicht nur
schönfärberisch geschrieben werden, um der Chronistenpflicht zu
genügen. Man sollte auch Interessierten Empfehlungen oder Ratschläge
geben, oder, wie im vorliegenden Falle, auch einmal abraten.
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Mich jedenfalls sieht Milton
Keynes so schnell nicht wieder, es sei denn, ich gleite mit
Filzpantoffeln wie ein Museumsbesucher über diesen abgeschirmten
königlichen Palastboden. Denn selbst wenn man bedenkt, dass es
durchaus auch weichere Böden für einen 24-Stunden-Lauf gibt, etwa
durch die Einbeziehung eines Stadions, so fehlten mir ganz einfach
auch die Umweltgeräusche und -gerüche, der Geschmack der Natur und
das Gefühl der Witterung.
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Selbst ein Ultralanger ist
glücklicherweise noch kein Laufroboter. |