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Aus alten Zeiten: Reif für die Insel
 
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15.11.2002 

 

Peter Samulski erinnert sich an den ersten Erlebnislauf der DUV im Jahre 1990:
Rund um Sylt


Sylt, die „Königin des Nordens", liegt als nördlichster Punkt Schleswig-Holsteins auf der deutschen Landkarte „ganz oben". Diese lang gezogene, schlanke Insel mit ihrem unvergleichlichen Reiz und Zauber ist 100 km2 groß, hat 10 Orte und 40 km Weststrand und war an dem verlängerten Wochenende nach Christi Himmelfahrt wieder einmal total ausgebucht. Das lag nicht zuletzt an dem ersten Erlebnislauf der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV), der, von langer Hand vorbereitet, am Samstag, dem 26. Mai 1990, dem geeignetsten Lauftag für eine Inselumrundung über 111 km Strand, Deich, Watt und Heidelandschäft stattfand. Wegen der unterschiedlichen Gezeiten waren vom Deutschen Hydrographischen Institut Hamburg die idealen Samstage für Sylt zwischen Mitte April und Mitte Juni abgefragt und dieser Termin war entsprechend dem zu erwartendem Läufermittelfeld mit Start um 6.00 Uhr und Zielschluss um 22.00 Uhr festgelegt worden. Gemäß dem Charakter dieses Erlebnis- und Abenteuerlaufes sollte vor allem auf die breite Masse Rücksicht genommen werden. So lag die Flut mit 2 bis 4 Stunden günstig vor dem Start, setzte aber der Läuferspitze schon wieder bei den letzten 20 km zu. Der nächste Idealtermin wäre zeitgleich mit dem Bieler 100-km-Lauf gewesen.
 
Über ein Jahr hatte Horst „Syltmeyer" Hofmeyer aus Elmshorn, der rührige Geschäftsführer der DUV, als umsichtiger Cheforganisator und allzeit ruhender Pol diesen außergewöhnlichen Pilotlauf vorbereitet. Bis etwa 4 Wochen vor dem Start wollte er sich selber mit einer Teilnahme belohnen, erkannte aber spätestens bei der ,,Verlaufpanne von Grünheide", dass der Lotse als potentieller Sündenbock an Bord gehört und harrte den ganzen Lauftag eisern als Conferencier am Mikrophon vor der Musikmuschel auf der Westerländer Kurpromenade aus.
 
Als Fachberater stand ihm der Internist der Sylter Nordseeklinik von Westerland, Dr. Wolfgang Schmiedeberg, zur Seite, der wie kein anderer seit 1982 die Geschichte dieses Inselrundlaufes geprägt hat. Schmiedeberg, der den Lauf selbst schon viermal begonnen und aus Vernunftgründen schon zweimal abgebrochen hat, versagte sich auch diesmal eine Teilnahme, um uns vorher fach- und sachkundig auf die Besonderheiten einstellen, während des Rennens mit seiner Ehefrau Uschi jederzeit beraten und hinterher wieder aufbauen zu können.

Teilnehmer
Angesprochen von der Einladung fühlten sich 72 angemeldete Extremläuferinnen und -läufer bis runter in den Allgäu, darunter 10 Teilnehmer aus der DDR, von denen letztlich aber nur 55 an den Start gingen. Zum einen waren noch nicht alle Blessuren von der 4. Deutschen Meisterschaft im 100-km-Lauf in Hanau ausgeheilt, zum anderen hatte der nicht minder schwere Rennsteiglauf neue Wunden geschlagen.
 
Da mit dem ZDF (3Sat), dem NDR und dem RTL regional gleich drei Fernseh-Teams zu Lande, zu Wasser und aus der Luft filmten, werden wir ein historisches Dokument erstellen können, das alle die entschädigt, die diesmal nicht dabeisein konnten. Einer von ihnen ist Günter Herburger, der die Startnummer 1 erhalten sollte, aber wegen der politischen Entwicklung in der Tschechoslowakei zu einem Schriftstellertreffen der „Gruppe 68" nach Prag reiste. Eigentlich hatte sich das Fernsehen auf ihn als Laufpoeten vorbereitet; es bekam aber mit Werner Sonntag als Laufphilosophen einen Fachmann vor die Kamera, der mehr als nur Ersatz war. Dass wir alle gut vorbereitet und „Reif für die Insel" waren, beweist, dass es nur eine einzige Aufgabe gab.

Die Strecke
Der Start fand pünktlich unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und der Medien auf der Kurpromenade in Westerland statt. „Sylt wirkt sofort", sagt man, und man merkte von Beginn an, dass nicht alle Teilnehmer zu einem Bummellauf gekommen waren. An diesem Tag erlebten wir tatsächlich den legendären Lichtschimmer von Sylt am Horizont, der nicht nur eine Redensart, sondern auch Realität ist, mit einem wandernden blass-violetten Lichtstreifen. Unser Auftakt erfolgte bei ablaufendem Meer über die feuchte, aber feste Wasserkante, die gut zu belaufen war.

 
Von Beginn an herrschte eine Windstärke von 6 bis 7 Beaufort, die für uns Binnenländer ungewohnt war. Die fatale Täuschung war, dass durch den hohen Verdunstungsgrad die Haut immer trocken und kalt war, obwohl im Körper eher ein Hitzestau entstehen konnte, und dass kein Durstgefühl aufkam. Das Gebot der Stunde hieß also: rechtzeitige und reichliche Flüssigkeitszufuhr, angepasste warme Kleidung, möglichst mit Kopfbedeckung und kohlenhydratreiche Nahrung. Dank der großzügigen Sponsoren standen reichlich Bananen, Apfelsinen, Äpfel, Salzkekse, Elektrolytgetränke, Mineralwasser, Malzbier und Cola an den 21 Verpflegungsstationen bereit, die von den Schülern und Sportlehrern des Sylter Gymnasiums mit Wohlwollen ihres Oberstudiendirektors Dr. Klausen betreut wurden. Ihnen allen, wie auch dem DRK, der Jugendfeuerwehr, der Polizei Westerland, den Mitgliedern des Morsumer TSV, den Kurverwaltungen Wenningstedt, Sylt-Ost, Westerland und der Bädergemeinschaft Sylt e.V. sei an dieser Stelle im Namen der Aktiven herzlich gedankt.
 
Bei Rantum-West war bereits der erste dieser in einem Abstand von je 5 km aufgestellten Verpflegungsstände, die sich unmittelbar in Strandnähe befanden. Bei der unerwartet kühlen Tagestemperatur von ca. 11 ° C und dem rauen Wind haben auch diese Posten vor Ort eine große Ausdauerleistung erbracht und mussten sich dazu noch manchen Flachs von Läufern und Zuschauern anhören. So sagte eine Touristin zu ihrem Begleiter mit einem Blick auf die kleingeschnittenen Bananen und die halbgefüllten Trinkbecher: „Was heutzutage so alles zum Verkauf angeboten wird!" Das Badeparadies Rantum ist die schmale Taille von Sylt. Nur 600 m breit ist es zwischen dem Brandungsstrand im Westen und dem Wattenufer, doch niemand von uns erlag der Versuchung einer unerlaubten Abkürzung. Mit „Sansibar" und „Samoa" gibt es hier zwei bevorzugte Nacktbadestrände, aber bei der unfreundlichen Witterung lenkte uns keine Augenweide an diesem Tag von unserer Hatz ab.
 
An der Südspitze liegt Hörnum mit dem weit sichtbaren Leuchtturm. Die urwüchsige grüne Dünenlandschaft hinter den breiten Badestränden sind charakteristisch für die gesamte Westküste Sylts.
 
Beim Hörnumer Hafen ging es landeinwärts. Er war noch im 17. Jahrhundert ein Schlupfwinkel für Strand- und Seeräuber und heute legen hier die Ausflugdampfer zu den anderen Nordseeinseln und nach Helgoland ab, Dann erlebten wir ein Novum, an dessen Realisierung auch Dr. Schmiedeberg gezweifelt hatte. Wahrscheinlich als Folge der weltweiten Entspannung und weil wir bei dem Tempo wohl nicht viel ausspionieren konnten, schloss die Bundeswehr zwei Tore auf und ließ uns durch ihr militärisches Sperrgebiet laufen. Unser Weg führte uns weiter landeinwärts, vorbei am Kinderheim Puan-Kent über die Inseltrasse nach Rantum/Ecke Neckenvenn und zum Nösse-Deich. Da die Küste hier nicht belaufbar ist, mussten wir mit eindeutigen Markierungen auf dem Boden und Schildern manchen Schlenker mitmachen, so dass wir uns wie Orientierungsläufer ohne Kompass vorkamen. Im urwüchsigen Ostteil der Insel mit Tinnum, Archsum und Morsum leben die Insulaner noch von der Landwirtschaft, ideal für einen „Urlaub auf dem Bauernhof". Den östlichsten Punkt, das Morsumer Wattenmeer, konnten wir bewusst auslassen. 50 % der Insel stehen unter Naturschutz, den wir natürlich so weit wie möglich beachteten. Die Wattenlandschaft mit ihrer friedlichen Beschaulichkeit ist ein Vogelparadies für Austernfischer, Lachmöven, Küstenseeschwalben, Brandgänse und andere Meeresvögel.
 
Das eindrucksvolle Morsumer Kliff ist die in ganz Schleswig-Holstein bedeutendste Erdformation; 20 Millionen Jahre Erdentwicklung werden für das Auge sichtbar. Die einzige Brücke, die wir überqueren mussten, führte über die Bahnstrecke, über die man mit dem Autoreisezug über den 11 km langen Hindenburgdamm.
 
Beim Keitumer Bad erreichten wir wieder die Küste. Das beheizbare Meeresschwimmbad ist mit seinen 26 ° C wärmer als es die Nordsee je werden kann. Der ruhige Ortsteil Keitum wird wegen seines reichen Baumbestandes das grüne Herz der Insel genannt. Ein weit sichtbares Wahrzeichen der Insel ist die St.-Severins-Kirche, die wie ein Schiff auf der Anhöhe außerhalb des Ortes an der Morsumer Chaussee thront.
 
Bis zum Morsumer Hafen, wo im ruhigen und flachen Wasser die Segel- und Surfschulen ihre Anfänger ausbilden, mussten wir uns wahlweise einen Parcous über den Strand oder das Weiße Kliff suchen. Von hier sah man bereits den Lister Hafen, was psychologisch günstig motivierte. Im Naturschutzgebiet Braderuper Heide ging es durch eine Geestküstenlandschaft über ideale Wander- und Radwege.
 
Bei Kämpen, dem Prominentenviertel von Sylt, wo alle Inselinformationen zusammentreffen, kamen wir auf die Hauptstraße. Auf ihr wird der jährlich stattfindende Sylter Insellauf ausgetragen, eine Durchquerung der Länge nach von Hörnum nach List über „nur" 33,33 km. Bei früheren Inselumrundungen liefen die Teilnehmer jetzt in kleinen Gruppen über diese stark befahrene Straße weiter bis zum Lister Hafen. Da das aber bei einer Großveranstaltung dieses Ausmaßes zu gefährlich schien, hatten Horst und Dr. Schmiedeberg einen „Ho-Tschi-Minh-Pfad à la Biel" durch den Ginster geschnitten, wo man Richtung Süderheidetal Sylt „hautnah" erleben sollte, aber den verpasste nicht nur die Spitze und verursachte so bei der Kontrollstation 14 einige Ratlosigkeit. Als dort Uschi Schmiedeberg Wanderer fragte, ob sie Läufer mit Nummern auf der Brust gesehen hätten, bekam sie prompt zur Antwort: „Ja, heute früh in Hörnum!"
 
Im Ellenbogen, von den Insidern ,,Schweinebucht" genannt, wurde es noch einmal gefährlich. Hier auf der ca. 5 km langen schmalen Straße sind die Profi-Surfer zu Hause, rasen zu ihren Lieblingsplätzen und parken die Randstreifen zu. Surfen ist mittlerweile der Symbolsport von Sylt, wo sogar Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Doch das war alles nichts gegen den „Hammer", der jetzt kam. Durch die weichen Wanderdünen, die durch den Strandhafer daran gehindert werden, den Ort List unter sich zu begraben, kam der erneute Abstieg zum Meer. Das wartete schon mit starkem Gegenwind und aufkommender Flut auf die vorderen Läufer und zwang die letzten 20 km in den lockeren Sand. Lief man zu nahe am Wasser, verschafften einem die anrollenden Wellen nasse Füße oder die Gischt legte Schaumkronen um die Knöchel, die auf den Sand wie Kleber wirkten. Was beim Marathon die Mauer bedeutet, war hier der Lister Weststrand. Hier zeigte sich, wer einen gleichmäßigen besonnenen Lauf eingeteilt hatte und nur die Spezialisten hatten noch Reserven zum Laufen ohne Gehpausen.
 
Bei der legendären Buhne 16 ging es noch einmal über einen FKK-Strand. Einige Unentwegte saßen in „Friesennerzen" in ihren Strandkörben und feuerten uns so an wie sonst nirgendwo auf der Strecke. Am Roten Kliff zwischen Kämpen und dem Seeheilbad Wenningstedt, einem der beliebtesten Familienbäder mit echter Sommerfrischegarantie, gaukelten einem zwar die Hochhäuser von Westerland ein baldiges Ziel vor, aber der Sandteppich ließ die Kräfte immer mehr schwinden und verhinderten letztlich eine Zeit unter 10 Stunden. „Strandstunden sind Seelenmassage", heißt es in dem Sylter Inselfilm, „und Einssein mit der Natur". Ich habe da nach diesen schier endlosen zwei Stunden so meine eigene Philosophie. Nach der Stunde der Wahrheit schlug endlich auf der Kurpromenade vor dem Musikpavillon nach 10:16 Stunden für mich doch die Stunde des Siegers. Damit war der bisherige Inselrekord von 14:40 Stdn. unter-, das bisher größte Teilnehmerfeld von 13 Läufern überboten. Man merkte, dass das Publikum die Leistung aller zu würdigen wusste.
 
Udo sagte allerdings hinterher, — halb erschöpft und halb verschmitzt —, Inselumrundung? Jederzeit wieder — aber beim nächsten Mal bitte auf Helgoland!"




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Autor und Copyright: Peter Samulski für Laufen-in-Koeln, Foto: Volker Frenzel