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Aus alten Zeiten: Reif für die Insel |
Peter Samulski erinnert
sich an den ersten Erlebnislauf der DUV im Jahre 1990:
Rund um Sylt
Sylt,
die „Königin des Nordens", liegt als nördlichster Punkt Schleswig-Holsteins auf
der deutschen Landkarte „ganz oben". Diese lang gezogene, schlanke Insel mit
ihrem unvergleichlichen Reiz und Zauber ist 100 km2 groß, hat 10 Orte und 40 km
Weststrand und war an dem verlängerten Wochenende nach Christi Himmelfahrt
wieder einmal total ausgebucht. Das lag nicht zuletzt an dem ersten Erlebnislauf
der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV), der, von langer Hand vorbereitet,
am Samstag, dem 26. Mai 1990, dem geeignetsten Lauftag für eine Inselumrundung
über 111 km Strand, Deich, Watt und Heidelandschäft stattfand. Wegen der
unterschiedlichen Gezeiten waren vom Deutschen Hydrographischen Institut Hamburg
die idealen Samstage für Sylt zwischen Mitte April und Mitte Juni abgefragt und
dieser Termin war entsprechend dem zu erwartendem Läufermittelfeld mit Start um
6.00 Uhr und Zielschluss um 22.00 Uhr festgelegt worden. Gemäß dem Charakter
dieses Erlebnis- und Abenteuerlaufes sollte vor allem auf die breite Masse
Rücksicht genommen werden. So lag die Flut mit 2 bis 4 Stunden günstig vor dem
Start, setzte aber der Läuferspitze schon wieder bei den letzten 20 km zu. Der
nächste Idealtermin wäre zeitgleich mit dem Bieler 100-km-Lauf gewesen.
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Über ein Jahr hatte Horst „Syltmeyer"
Hofmeyer aus Elmshorn, der rührige Geschäftsführer der DUV, als umsichtiger
Cheforganisator und allzeit ruhender Pol diesen außergewöhnlichen Pilotlauf
vorbereitet. Bis etwa 4 Wochen vor dem Start wollte er sich selber mit einer
Teilnahme belohnen, erkannte aber spätestens bei der ,,Verlaufpanne von
Grünheide", dass der Lotse als potentieller Sündenbock an Bord gehört und harrte
den ganzen Lauftag eisern als Conferencier am Mikrophon vor der Musikmuschel auf
der Westerländer Kurpromenade aus.
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Als Fachberater stand ihm der Internist der
Sylter Nordseeklinik von Westerland, Dr. Wolfgang Schmiedeberg, zur Seite, der
wie kein anderer seit 1982 die Geschichte dieses Inselrundlaufes geprägt hat.
Schmiedeberg, der den Lauf selbst schon viermal begonnen und aus Vernunftgründen
schon zweimal abgebrochen hat, versagte sich auch diesmal eine Teilnahme, um uns
vorher fach- und sachkundig auf die Besonderheiten einstellen, während des
Rennens mit seiner Ehefrau Uschi jederzeit beraten und hinterher wieder aufbauen
zu können.
Teilnehmer
Angesprochen von der Einladung fühlten
sich 72 angemeldete Extremläuferinnen und -läufer bis runter in den Allgäu,
darunter 10 Teilnehmer aus der DDR, von denen letztlich aber nur 55 an den Start
gingen. Zum einen waren noch nicht alle Blessuren von der 4. Deutschen
Meisterschaft im 100-km-Lauf in Hanau ausgeheilt, zum anderen hatte der nicht
minder schwere Rennsteiglauf neue Wunden geschlagen.
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Da mit dem ZDF (3Sat), dem NDR und dem RTL
regional gleich drei Fernseh-Teams zu Lande, zu Wasser und aus der Luft filmten,
werden wir ein historisches Dokument erstellen können, das alle die entschädigt,
die diesmal nicht dabeisein konnten. Einer von ihnen ist Günter Herburger, der
die Startnummer 1 erhalten sollte, aber wegen der politischen Entwicklung in der
Tschechoslowakei zu einem Schriftstellertreffen der „Gruppe 68" nach Prag
reiste. Eigentlich hatte sich das Fernsehen auf ihn als Laufpoeten vorbereitet;
es bekam aber mit Werner Sonntag als Laufphilosophen einen Fachmann vor die
Kamera, der mehr als nur Ersatz war. Dass wir alle gut vorbereitet und „Reif für
die Insel" waren, beweist, dass es nur eine einzige Aufgabe gab.
Die Strecke
Der Start fand pünktlich unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und der Medien
auf der Kurpromenade in Westerland statt. „Sylt wirkt sofort", sagt man, und man
merkte von Beginn an, dass nicht alle Teilnehmer zu einem Bummellauf gekommen
waren. An diesem Tag erlebten wir tatsächlich den legendären Lichtschimmer von
Sylt am Horizont, der nicht nur eine Redensart, sondern auch Realität ist, mit
einem wandernden blass-violetten Lichtstreifen. Unser Auftakt erfolgte bei
ablaufendem Meer über die feuchte, aber feste Wasserkante, die gut zu belaufen
war.
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Von Beginn an herrschte eine Windstärke von
6 bis 7 Beaufort, die für uns Binnenländer ungewohnt war. Die fatale Täuschung
war, dass durch den hohen Verdunstungsgrad die Haut immer trocken und kalt war,
obwohl im Körper eher ein Hitzestau entstehen konnte, und dass kein Durstgefühl
aufkam. Das Gebot der Stunde hieß also: rechtzeitige und reichliche
Flüssigkeitszufuhr, angepasste warme Kleidung, möglichst mit Kopfbedeckung und
kohlenhydratreiche Nahrung. Dank der großzügigen Sponsoren standen reichlich
Bananen, Apfelsinen, Äpfel, Salzkekse, Elektrolytgetränke, Mineralwasser,
Malzbier und Cola an den 21 Verpflegungsstationen bereit, die von den Schülern
und Sportlehrern des Sylter Gymnasiums mit Wohlwollen ihres Oberstudiendirektors
Dr. Klausen betreut wurden. Ihnen allen, wie auch dem DRK, der Jugendfeuerwehr,
der Polizei Westerland, den Mitgliedern des Morsumer TSV, den Kurverwaltungen
Wenningstedt, Sylt-Ost, Westerland und der Bädergemeinschaft Sylt e.V. sei an
dieser Stelle im Namen der Aktiven herzlich gedankt.
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Bei Rantum-West war bereits der erste dieser
in einem Abstand von je 5 km aufgestellten Verpflegungsstände, die sich
unmittelbar in Strandnähe befanden. Bei der unerwartet kühlen Tagestemperatur
von ca. 11 ° C und dem rauen Wind haben auch diese Posten vor Ort eine große
Ausdauerleistung erbracht und mussten sich dazu noch manchen Flachs von Läufern
und Zuschauern anhören. So sagte eine Touristin zu ihrem Begleiter mit einem
Blick auf die kleingeschnittenen Bananen und die halbgefüllten Trinkbecher: „Was
heutzutage so alles zum Verkauf angeboten wird!" Das Badeparadies Rantum ist die
schmale Taille von Sylt. Nur 600 m breit ist es zwischen dem Brandungsstrand im
Westen und dem Wattenufer, doch niemand von uns erlag der Versuchung einer
unerlaubten Abkürzung. Mit „Sansibar" und „Samoa" gibt es hier zwei bevorzugte
Nacktbadestrände, aber bei der unfreundlichen Witterung lenkte uns keine
Augenweide an diesem Tag von unserer Hatz ab.
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An der Südspitze liegt Hörnum mit dem weit
sichtbaren Leuchtturm. Die urwüchsige grüne Dünenlandschaft hinter den breiten
Badestränden sind charakteristisch für die gesamte Westküste Sylts.
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Beim Hörnumer Hafen ging es landeinwärts. Er
war noch im 17. Jahrhundert ein Schlupfwinkel für Strand- und Seeräuber und
heute legen hier die Ausflugdampfer zu den anderen Nordseeinseln und nach
Helgoland ab, Dann erlebten wir ein Novum, an dessen Realisierung auch Dr.
Schmiedeberg gezweifelt hatte. Wahrscheinlich als Folge der weltweiten
Entspannung und weil wir bei dem Tempo wohl nicht viel ausspionieren konnten,
schloss die Bundeswehr zwei Tore auf und ließ uns durch ihr militärisches
Sperrgebiet laufen. Unser Weg führte uns weiter landeinwärts, vorbei am
Kinderheim Puan-Kent über die Inseltrasse nach Rantum/Ecke Neckenvenn und zum
Nösse-Deich. Da die Küste hier nicht belaufbar ist, mussten wir mit eindeutigen
Markierungen auf dem Boden und Schildern manchen Schlenker mitmachen, so dass
wir uns wie Orientierungsläufer ohne Kompass vorkamen. Im urwüchsigen Ostteil
der Insel mit Tinnum, Archsum und Morsum leben die Insulaner noch von der
Landwirtschaft, ideal für einen „Urlaub auf dem Bauernhof". Den östlichsten
Punkt, das Morsumer Wattenmeer, konnten wir bewusst auslassen. 50 % der Insel
stehen unter Naturschutz, den wir natürlich so weit wie möglich beachteten. Die
Wattenlandschaft mit ihrer friedlichen Beschaulichkeit ist ein Vogelparadies für
Austernfischer, Lachmöven, Küstenseeschwalben, Brandgänse und andere
Meeresvögel.
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Das eindrucksvolle Morsumer Kliff ist die in
ganz Schleswig-Holstein bedeutendste Erdformation; 20 Millionen Jahre
Erdentwicklung werden für das Auge sichtbar. Die einzige Brücke, die wir
überqueren mussten, führte über die Bahnstrecke, über die man mit dem
Autoreisezug über den 11 km langen Hindenburgdamm.
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Beim Keitumer Bad erreichten wir wieder die
Küste. Das beheizbare Meeresschwimmbad ist mit seinen 26 ° C wärmer als es die
Nordsee je werden kann. Der ruhige Ortsteil Keitum wird wegen seines reichen
Baumbestandes das grüne Herz der Insel genannt. Ein weit sichtbares Wahrzeichen
der Insel ist die St.-Severins-Kirche, die wie ein Schiff auf der Anhöhe
außerhalb des Ortes an der Morsumer Chaussee thront.
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Bis zum Morsumer Hafen, wo im ruhigen und
flachen Wasser die Segel- und Surfschulen ihre Anfänger ausbilden, mussten wir
uns wahlweise einen Parcous über den Strand oder das Weiße Kliff suchen. Von
hier sah man bereits den Lister Hafen, was psychologisch günstig motivierte. Im
Naturschutzgebiet Braderuper Heide ging es durch eine Geestküstenlandschaft über
ideale Wander- und Radwege.
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Bei Kämpen, dem Prominentenviertel von Sylt,
wo alle Inselinformationen zusammentreffen, kamen wir auf die Hauptstraße. Auf
ihr wird der jährlich stattfindende Sylter Insellauf ausgetragen, eine
Durchquerung der Länge nach von Hörnum nach List über „nur" 33,33 km. Bei
früheren Inselumrundungen liefen die Teilnehmer jetzt in kleinen Gruppen über
diese stark befahrene Straße weiter bis zum Lister Hafen. Da das aber bei einer
Großveranstaltung dieses Ausmaßes zu gefährlich schien, hatten Horst und Dr.
Schmiedeberg einen „Ho-Tschi-Minh-Pfad à la Biel" durch den Ginster geschnitten,
wo man Richtung Süderheidetal Sylt „hautnah" erleben sollte, aber den verpasste
nicht nur die Spitze und verursachte so bei der Kontrollstation 14 einige
Ratlosigkeit. Als dort Uschi Schmiedeberg Wanderer fragte, ob sie Läufer mit
Nummern auf der Brust gesehen hätten, bekam sie prompt zur Antwort: „Ja, heute
früh in Hörnum!"
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Im Ellenbogen, von den Insidern
,,Schweinebucht" genannt, wurde es noch einmal gefährlich. Hier auf der ca. 5 km
langen schmalen Straße sind die Profi-Surfer zu Hause, rasen zu ihren
Lieblingsplätzen und parken die Randstreifen zu. Surfen ist mittlerweile der
Symbolsport von Sylt, wo sogar Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Doch das
war alles nichts gegen den „Hammer", der jetzt kam. Durch die weichen
Wanderdünen, die durch den Strandhafer daran gehindert werden, den Ort List
unter sich zu begraben, kam der erneute Abstieg zum Meer. Das wartete schon mit
starkem Gegenwind und aufkommender Flut auf die vorderen Läufer und zwang die
letzten 20 km in den lockeren Sand. Lief man zu nahe am Wasser, verschafften
einem die anrollenden Wellen nasse Füße oder die Gischt legte Schaumkronen um
die Knöchel, die auf den Sand wie Kleber wirkten. Was beim Marathon die Mauer
bedeutet, war hier der Lister Weststrand. Hier zeigte sich, wer einen
gleichmäßigen besonnenen Lauf eingeteilt hatte und nur die Spezialisten hatten
noch Reserven zum Laufen ohne Gehpausen.
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Bei der legendären Buhne 16 ging es noch einmal
über einen FKK-Strand. Einige Unentwegte saßen in „Friesennerzen" in ihren
Strandkörben und feuerten uns so an wie sonst nirgendwo auf der Strecke. Am
Roten Kliff zwischen Kämpen und dem Seeheilbad Wenningstedt, einem der
beliebtesten Familienbäder mit echter Sommerfrischegarantie, gaukelten einem
zwar die Hochhäuser von Westerland ein baldiges Ziel vor, aber der Sandteppich
ließ die Kräfte immer mehr schwinden und verhinderten letztlich eine Zeit unter
10 Stunden. „Strandstunden sind Seelenmassage", heißt es in dem Sylter
Inselfilm, „und Einssein mit der Natur". Ich habe da nach diesen schier endlosen
zwei Stunden so meine eigene Philosophie. Nach der Stunde der Wahrheit schlug
endlich auf der Kurpromenade vor dem Musikpavillon nach 10:16 Stunden für mich
doch die Stunde des Siegers. Damit war der bisherige Inselrekord von 14:40 Stdn.
unter-, das bisher größte Teilnehmerfeld von 13 Läufern überboten. Man merkte,
dass das Publikum die Leistung aller zu würdigen wusste.
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Udo sagte allerdings hinterher, — halb erschöpft
und halb verschmitzt —, Inselumrundung? Jederzeit wieder — aber beim nächsten
Mal bitte auf Helgoland!"
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Autor und Copyright: Peter Samulski für Laufen-in-Koeln,
Foto: Volker Frenzel
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