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Es war eine der Situationen, die Menschen alles um sich herum vergessen lässt, im Nachhinein aber unvergessen bleibt. Was Robin Schembera Anfang Juli bei den Deutschen B-Jugendmeisterschaften in Jena im 3000-Meter-Finallauf erlebte, daran wird er sich wohl sein Leben lang erinnern. Als der Leverkusener 115 Meter vor dem Ziel zum Endspurt ansetzen und von der zweiten Position aus die Führung übernehmen wollte, trat ihm ein Konkurrent in die Fersen. Der 16-Jährige stolperte, rollte über die Bahn und schien keine Chance mehr auf eine Medaille zu haben. Doch dann packte Schembera einen unglaublichen Schlussspurt aus.
„Es war wie ein Reflex. Direkt nachdem ich mich ausgerollt hatte, bin ich wieder aufgestanden“, berichtet der Schüler des Landrat-Lucas-Gymnasiums mit Blick zurück auf seine drei Vorwärtsrollen und den sich anschließenden kurzen Moment der Besinnung. „Ich habe ausschließlich Wut gespürt. Meine Augen sind total rot gewesen.“ Denn Schemberas Blut war durch den Sturz in Wallung geraten und ihm in den Kopf geschossen, die um die Medaillen spurtende Konkurrenz derweil um gut 20 Meter enteilt.
Aussichtslos würden die einen sagen, „noch nicht zu weit weg“, sagte sich Schembera und lief los. Im Ziel hatte er vier Gegner wieder eingefangen und holte in 8:47,00 Minuten die Bronzemedaille. Die Enttäuschung saß trotzdem tief: „Ich konnte mich gar nicht freuen, war total sauer auf mich, weil ich nicht vorher angezogen habe und die Situation deshalb überhaupt erst so entstanden ist.“
Überhaupt erst nach Leverkusen gekommen ist der Blondschopf zur Saison 2003. Mama Antje Schembera, in der DDR unter ihrem Mädchennamen Antje Schröder eine exzellente 800-Meter-Läuferin mit einer Bestzeit von 1:57,57 Minuten, begleitete ihn damals. „Ich wollte weg von meinem alten Verein in Halle an der Saale.“ So führte der Weg von Robin Schembera nach Leverkusen. „Erst war meine Mama mit dabei, hat mir geholfen, mich einzuleben und die Wohnung einzurichten. Als sie gesehen hat, dass alles in Ordnung ist, ging sie wieder zurück.“
In einer 55 Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung lebt der Neuntklässler jetzt. „Es ist ein richtiges Junggesellen-Leben“, meint er. Das gefalle ihm gut, auch wenn Kochen keine seiner ganz großen Leidenschaften sei. „Doch in Sachen Essen gibt es ja Theo und sein PizzaPazza-Team, da werden die Schüler des Teilinternats gut versorgt.“ Und die Mama seiner Freundin Maria Willadsen, die genau wie Schembera als Läuferin beim TSV Bayer 04 unterwegs ist, ist auch noch da: „Bei ihr kriege ich immer genug, wenn ich mal nichts im Haus habe.“
Hohe Ziele hat der Mittel- und Langstreckler für die kommende Saison. „Bei der U18-WM möchte ich über 800 Meter in den Endlauf einziehen.“ Mit so einem Endspurt wie in Jena scheint das möglich. 12,0 Sekunden lief er über die letzten 100 Meter. Eine Woche später bei den Deutschen Jugend-Staffelmeisterschaften in Braunschweig gelang Schembera ein ähnliches Kunststück. Dieses Mal allerdings ohne vorherigen Sturz. Trotzdem verzückte er damit 18.000 Zuschauer im Eintracht-Stadion.
Das Publikum hatte die Leverkusener 3x1000-Meter-Staffel zuvor in der Defensive gesehen. Chokri Araiedh kämpfte erst verbissen um den Anschluss und meisterte seine Aufgabe, den Rückstand möglichst gering zu halten, mit Bravour. Ricardo Giehl begann danach das Feld von hinten aufzurollen und übergab an Position zwei liegend an Robin Schembera. Dieser packte auf den letzten 250 Metern einen Endspurt aus, der das Braunschweig Publikum von den Sitzen riss. Wie von einer Tarantel gestochen konterte er einen Angriff der Konkurrenz vom VfL Sindelfingen und spurtete zu 7:32,40 Minuten und zur Goldmedaille. Nach diesem Endspurt konnte er sich anders als in der Vorwoche auch selbst freuen. Brüllend reckte er bei der Zielankunft die Hand mit dem Staffelstab in den Himmel. „Geil, das ist einfach nur geil“, rief Ricardo Giehl wenig später, während er mit Araiedh und Schembera ausgelassen über die Bahn tanzte. __________________________________ Autor und Copyright: Christian Klaue |