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Ein Erlebnisbericht von Werner
Winkhold (Run 4 Fun Köln e.V.) zum Kiel-Marathon 2005:
Samstag, 26.2.2005, 10.15 Uhr,
Ostseekai: Kaum kann ich den wärmenden See-Terminal an der Kieler Förde
betreten, weil die 10-km-Läufer wie ein Schwarm aus dem Gebäude drängen, um sich
für den Start aufzustellen. Die Halb- Maratahonis, die zehn Minuten später
starten sollen, suchen hingegen vor der bitteren Kälte von -3°C Schutz im
Inneren. Für mich ist noch etwas mehr Zeit, weil Marathonis und Walker
(interessante Mischung) als letzte dran sind.
Die Startaufstellung zeigt es dann deutlich: Von den etwa 300 angemeldeten Marathonis sind viele im Bett geblieben. Noch in der vorherigen Nacht bestand die Gefahr von Blitzeis. Am Rand der Strecke, die durchweg asphaltiert ist, liegen Schneehaufen. An ihnen vorbei sind wir schließlich den vorher Gestarteten auf den Fersen. Das macht Laune, weil ich auf den ersten zehn Kilometern das Gefühl habe zu fliegen. Ständig überhole ich, was das subjektive Gefühl von Schnelligkeit erhöht. Freundlich spreche ich mit dem einen oder der anderen und muss schließlich feststellen, nicht jede und jeder spricht Deutsch. Bald wird mir klar, dass der Kiel-Marathon der Lauf mit der häufigsten Verwendung des Umlautes „Ö“ ist. Unglaublich wie viel Dänen und Schweden die Gelegenheit zu einem Winter-Check in Schleswig-Holstein nutzen. So nehme ich erst in der zweiten von vier Runden à 10,5 km die Umgebung deutlicher wahr. Vor allem die Möwen – sie begleiten uns an der Förde. Zwar begegnen mir ständig Läuferinnen und Läufer, weil es ein „Hin- und- Her - Kurs“ ist, aber die Abstände zu den anderen werden schon deutlich weiter. Etwa 1400 Athleten verteilen sich auf 5km, aber die ersten haben nach der ersten Runde bereits „Schicht“. Ich folge dem Menschenband immer an der Förde entlang. Draußen schimmert im Nebel das andere Ufer, auf meiner Landseite geht es an Villen und Militäranlagen vorbei. Fähren, Feuerwehr-Schiffe, Boote der Wasserschutz-Polizei und Schiffe der Marine liegen am Kai. Ein bizarres Bild für mich, einem der wenigen Nicht-Nordlichter.
Für längere Zeit begleitet mich Jörg Schad, der
extra eine Pause in seinem Zivildienst machen musste, um in Kiel dabei zu sein.
Er stöhnt wie alle Läufer über zu wenig Training. Als ich erfahre, dass er
Zivil-Dienst in Finnland in einer orthodoxen Kirche macht und der Schnee dort
doch etwas beim Laufen hindert, beschließe ich: Das ist die erste und letzte
Entschuldigung, die für 2005 eine Berechtigung hat.
Auf der gegenüberliegenden Seite kommt mir der
spätere Sieger entgegen, Frank Themsen mit der Nr. 202.
Daraus ergibt sich: Teilziel 1 erreicht: Von niemandem überholt, denn selbst er kann mich bis zum Zieleinlauf nicht mehr überholen. Ich darf mir nicht vorstellen, wie schön jetzt schon das Ende wäre. Über die End-Zeit zweifle ich noch, denn das Tempo für 3:35 durchzuhalten scheint schwierig. Ich bemerke bei der nächsten Wende dass ich langsamer werde, denn die führende Schwedin, die mir in der ersten Runde ein freundliches „I don`t speak German“ schenkte, enteilt mir zusehends. Am Ende wird Sofie Dovren aus Väst 20 Minuten vor mir im Ziel sein – ein Glück, dass ich das noch nicht ahne. Die Motivation wäre zerstört. Zurück Richtung Meer: Ich bemerke zum ersten Mal, dass wir an einer Original-Örtlichkeit aus dem Bestseller „Der Schwarm“ von Frank Schätzing vorbeilaufen. Es ist das Geomar Institut, dessen Direktor Prof. Bohrmann der Hauptfigur des Romans, Johanson, wichtige Informationen über die Hydrate gibt. Mir kommen sofort die Erinnerungen, dass ich das Buch in Thailand im Kletterurlaub gelesen habe, dort wo zwei Monate später der schreckliche Tsunami gewütet hatte. Viele der von Schätzling beschriebenen Szenarien fanden dort statt. Die im Kopf ablaufenden Bilder beschäftigen mich noch einige Zeit. Schließlich werde ich von einem sehr unangenehmen Gefühl der Kälte abgelenkt: Ein heftiger, eiskalter Wind peitsch in Böen von vorne. Ich wünsche mir einen Gesichtsschutz, aber der liegt bei den Ski-Sachen im Keller in Köln. Auch meine Mitläufer ducken sich gegen die erneute Wetter-Kapriole – Laufen kann man das schon nicht mehr nennen. Am Marinestützpunkt kurz vor der vorletzten Wende bei 34 km liegt die Strecke im Windschatten der Militärgebäude. Zwar weht die Fahne waagerecht vor der Kaserne, aber auf der Strasse, nur wenige Meter tiefer ist es nicht so schlimm. An der Verpflegungsstation bedanke ich mich bei den Helfern der Powerschnecken für ihren großen Job. Unwahrscheinlich, was sie hier leisten: Einen halben Tag in dieser Kälte Getränke auszugeben ist Knochenarbeit.
Um letzten Mal mache ich mich auf den Rückweg in
Richtung Innenstadt - sogar durch eine Cola aufgepeppt, die die Powerschnecken
doch noch aufgetan hatten, nachdem ich in der vorletzten Runde danach gefragt
hatte. Das Gefühl der unsäglichen Kälte lähmt Geist und Körper. Ich sage mir
mehr als ein Dutzend Mal, dass ich ankommen werde, weil ich schon bei längeren
Strecken diesen toten Punkt überwunden habe. Allerdings rächt sich jetzt das
wenige „Drei-Stunden-Training“ aufgrund meiner Verletzung im Januar. Das
bleierne Gefühl ab 35km ähnlich dem bei den ersten Marathonläufen stellt sich
wieder ein. Meine Gedanken schicke ich immer schon einen bis zwei Kilometer
vorwärts. Gleich wirst du dort sein und dann sogar dort. Das hilft, denn irgend
wann erreiche ich diese Stelle und dann weiß ich, das es geht. Selbst den
Zieleinlauf sehe ich schon vor meinem geistigen Auge, obwohl ich den Ostseekai
noch nicht erkennen kann. Eins wird sicher nicht dort passieren so wie vor zwei
Jahren, als ich in der Erwartung unter 3:30 zu bleiben viel schneller lief: Dass
mir schwarz vor Augen wird. Dafür bin ich jetzt zu langsam. An den Seerobben-
Becken des Geomar-Instituts überholt mich die zweite Frau, Cornelia Heinze und
ich merke wie ich durchgereicht werde. Schade eigentlich.
Die letzte Herausforderung ergibt sich bei KM 40. Die Hinweistafel steht direkt vor dem Zieleinlauf und ich muss daran vorbei bis zum Schwedenkai und …wieder zurück. Nach zweihundert Metern gibt es noch eine Verpflegung, die ich diesmal ausnutze. Mittlerweile weiß ich, dass eine Zeit unter 3:45 sicher ist. Also nehme ich mir zwei Stücke Salzgebäck, die ich mir nach und nach in den Mund lege. Mehr lutschend denn kauend kommen dümpele ich weiter. Schon kommen mir mehr und mehr der Mitstreiter entgegen, die mich in der letzten halben Stunde überholt haben. Auch ihre Gesichter sind vom Schmerz verzerrt. Die riesige Fähre der Stena Line liegt links von mir zur Abfahrt bereit. Letzte Wende. Mein Blick fällt zurück: Zwanzig Meter hinter mir ist der nächste Läufer. Junge- das geht doch nicht, sich noch einmal überholen zu lassen. Ich spucke die Reste Gebäck aus und beschleunige. Der letzte Kilometer geht noch mal mit 5:30, na also. Im Ziel drehe ich mich um und gestehe meinem Treiber: „Du hast mich motiviert noch mal Gas zu geben.“ Schön, meint er, stellt sich als Harald vor und gibt zu bedenken, es sei kein richtiger Wettkampf mehr gewesen, weil ich nicht seine Altersklasse bin. Akzeptiert, denn er ist 10 Jahre älter und muss gleich nach dem Wettkampf zur Ehrung seiner Gemeinde für seine Deutsche Meisterschaft im 24 Stunden Lauf. Wir plauschen noch ein wenig, bevor uns die Kälte in die Hallen des Ostseekais zwingt.
Siegerehrung Nicht meine – diesmal war es nur Platz 6 in der AK 50. Nein, ich meine die Große. Erstaunlich familiär ist es bei den Powerschnecken. Die beiden ersten Damen, Sofie und Cornelia bleiben einfach mal auf dem Treppchen, während sich die beiden Sieger der Männer Frank Themsen von der LG Bremen-Nord (2:40:33) und Michael Hoffmann vom tri-team Eckersdorf (2:45:51) lässig davor platzieren als gehörten sie zur Powerschnecken Familie. Die zeigen an diesem Nachmittag allerdings eine Eigenschaft, die sonst eher den Füchsen nachgesagt wird: Siegerin und Sieger erhalten den Wanderpokal, werden gefilmt und anschließend… …nimmt man ihnen die Erinnerung wieder ab mit der Begründung:
Die Dame komme aus Schweden und der Sieger aus Bremen und da wisse man doch nicht, ob sie den Pokal nach einem Jahr wiederbringen.
Es gibt eben keinen Kalauer, der nicht erdacht werden könnte.
Liebe Powerschnecken, ich werde hart trainieren und wenn ich meine diesjährige Zeit um 57 Minuten verbessert habe, komme ich 2006 nach Kiel, gewinne den Pott fülle ihn zuhause mit Kölsch und lade Kardinal Meisner zum Saufen ein.
Und sonst noch: Vielen Dank an Mona und Jürgen für die Gastfreundschaft und die wertvollen Gespräche. Ich komme wieder
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