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Training, Training und der Ironmantraum
 
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22.04.2005 

 

Deutschlands neue, boomende Sportart heißt Triathlon. Das beweisen rasende Athleten und stark wachsende Clubs

Endlich sind zwei schweißtreibende Stunden auf dem Spinningrad vorbei. Zu vornehmlich irischer Rockmusik ging es abwechselnd über Berg und Tal, je nach eingestelltem Radwiderstand und dem Tempo der Musik. Irgendwann hat man wirklich geglaubt, man rase gerade mit „fliegenden Beinen“ durch die Highlands. Allerdings unter literweise Schweißverlust. Nun macht sich beim Dehnen eine leicht meditative Atmosphäre breit. Zum Ausklang läuft der Song aus „Philadelphia“ – da, wo Tom Hanks als Todgeweihter noch mal das Leben an sich vorüberziehen sieht. Nach zwei Stunden „Spinnen“ ist das durchaus nachvollziehbar. Eine tiefe, entspannte Ruhe macht sich breit, während die Wade sich entspannt. Der Kult des Körpers hat im Moment mal „den des Geistes abgelöst“ und nimmt nach Meinung der Soziologin Agnes Heller „mythische Dimensionen“ an.
Oder, um es mit Joggingphilosoph Fritz Perls zu sagen: „Loose your head and come to the sense“. Die Teilnehmer sind Mitglieder der Triathlonabteilung des Kölner Sportclubs ASV Köln. Langsam leben sie wieder auf. Schließlich geht es gleich zum Laufen und später zum Schwimmen. Alles „locker“, natürlich. Dient nur der „Grundlagenausdauer“.

Schlussapplaus für den charmanten Einpeitscher, der von allen „Ultra“ genannt und von vielen heimlich bewundert wird. „Ultra“ heißt im wirklichen Leben Jochen Dembeck, ist Produktmanager und hat eine lange sportliche Lebensgeschichte hinter sich. Sein Kampfname stammt von der Teilnahme am „Ultraman“ auf Hawaii, bei dem man innerhalb von drei Tagen eine Insel umschwimmt, einen Doppelmarathon absolviert und dazwischen noch so viel Fahrrad fährt, wie manche nicht Lust hätten, im Auto zu sitzen. Kollege „Brain“ alias Clemens Sandscheper findet das ein wenig zu viel. Der Sportlehrer und -wissenschaftler war letztes Jahr Absolvent des „normalen“ Ironman in Kona – 3,8 Kilometer im Wasser, 180 auf dem Rad und 42,195 zu Fuß. Hawaii ist der Mythos eines jeden Triathleten. Denn rund um die Lavalandschaft mit Göttin Peles’ tückischen Winden, hohen Temperaturen und über 90 Prozent Luftfeuchtigkeit liegt auch sein Ursprung.

Beim letzten Mal hat sich dort eine Sensation abgespielt: Ein deutscher Sieger (Normann Stadler) und ein ganzes Geschwader deutscher Teilnehmer unter den ersten Ankömmlingen, darunter der überraschende Dritte Faris Al-Sultan aus München, Alexander Taubert als Vierter und Timo Bracht als Achter, sowie bei den Frauen Tina Walter (10) und Nicole Leder (11). Den Riss im Bild lieferte freilich die vermeintliche Siegerin Nina Kraft, die ihren ersten Platz unter Einfluss von Doping erzielte und disqualifiziert wurde. Das fulminante Gesamtergebnis hat in Deutschland offenbar einen „Stadler-Effekt“ ausgelöst. So wuchs beispielsweise die Triathlonabteilung des renommierten Traditionssportclubs ASV Köln von der Gründung vor zwei Jahren bis heute auf 116 Mitglieder und stellt damit wohl den größten Triathlonverein Nordrhein-Westfalens. Die Triathlonveranstaltungen zwischen Hückeswagen und Hamburg sind inzwischen meistens eine Woche nach Anmeldestart ausgebucht. Dabei hat alles so harmlos angefangen.


Berühmteste Ziellinie der Welt

Es war einmal im Jahr 1978 auf Hawaii, als ein Schwimmer, ein Läufer und ein Radfahrer im Pazifik 1978 wetteten, wer der härteste Typ ist. Den ersten Ironman am Waikiki Beach auf Hawaii 1978 (mit 15 Teilnehmern bei einer Startgebühr von 3 Dollar) gewann der Taxifahrer Gordon Haller in 11:46 Stunden, nachdem der lange führende Marineoffizier John Dunbar zur Erfrischung Bier zu sich nahm und daraufhin betrunken in parkende Autos stolperte. Genau vor 25 Jahren wurde durch Barrie McDermott’s Bericht zur Revanche in „Sports Illustrated“ 1979 die Öffentlichkeit informiert - und der lachende Erste Tom Warren, der zum Training in der Sauna joggte, zu einer Kultfigur. 1982 sahen fassungslose Fernsehzuschauer eine gehende, kriechende und schließlich auf der Ziellinie kollabierende Julie Moss.

Der Ironman schuf Legenden, wie sie nur noch mit der Tour de France vergleichbar sind: Der sechsmalige Sieger Dave Scott und sein Nachfolger Mark Allen, der mit Scott beim Psychokrieg „Iron War“ 1989 über 8 Stunden und 138 Meilen Seite an Seite schwamm und fuhr, bis er Scott beim Marathon überrundete. Die achtmalige „Ironfrau“ Paula Newby-Fraser. Tim DeBoom, der als erster Amerikaner seit Mark Allen 1995 im Schicksalsjahr 2001 siegte – angestachelt von den „Go USA!“-Rufen seiner Landsleute. Da wurde Triathlon amerikanischer Nationalsport, seit 2000 ist er olympische Disziplin. Mit Deutschen seit den Neunzigern an vorderster Front: Die Herausforderer Wolfang Dittrich, Jürgen Zäck, Thomas Hellriegel und das Ehepaar Leder und andere machten die berühmteste Ziellinie der Welt auch hierzulande begehrenswert. Der Zulauf ist enorm, die sportliche Gemeinde wächst, selbst die mediale Berichterstattung holt auf – wie auch die Vereine, in denen bekanntlich Sport am schönsten ist. Beim Triathlon ist er wegen des Equipments und der nötigen Befeuerung fast unentbehrlich. Wer spinnt schon gern allein?

Triathlon kann jeder. Denn hier kommt es nicht auf die Länge an. Sondern auf die Dauer. Das kann man lernen. Die meisten von den Qualen Begeisterten steigen bei einer Baby- oder bei der Olympischen Distanz (1,5km Schwimmen, 40km Rad, 10km Laufen) ein. Dann steigert man sich durch gemächliches Training im entspannten anaeroben Bereich, welches, konsequent und leistungsdiagnostisch betrieben, auf langer Strecke einen sensationelle Leistung hervorbringen kann, die man beim Wettkampf nur noch „abruft“. „Ultra“, „Brain“, „Iron“ und „El Presidente“ vom ASV Triathlon haben ihren Verein vor zwei Jahren gegründet und sind von sieben auf 120 Mitglieder gewachsen, inklusive ehemaliger Berufssportler, Marathonläufer, denen es über den „Go, Uschi, Go“-Rufen in Düsseldorf zu unhip wurde, oder Leute wie „El Presidente“, der angesichts der im TV kriechenden Julie Moss fasziniert die letzte Zigarette seines Lebens ausdrückte. Neuen Ausdruck finden die durch Training begnadeten Körper meistens in der Provinz bei kleinen, feinen „Wettkämpfen“, bei denen das Gros gegen sich selbst antritt.

Die Vorbilder der Generation Triathlon, deren Nachwuchs gerade erst entsteht, sind dabei weniger Schnellschwimmer à la Thomas Rupprath, sondern Jesus Christus – der konnte auf dem Wasser gehen. Lieber ein Radhamster als die unerreichbaren Pistenwalzen Ulrich und Klöden. Und statt der flotten Flitzer heißt das Laufidol Lauf-Forrest-Lauf Gump. Wie überhaupt Triathleten mit ihren Namensvettern von der Unterwasserbüglerfront oft eine leichte Neurose teilen. Einsamkeit pflastert ihren langen, langen Weg zu sich selbst. Wer nicht zu seinem eigenen Rhythmus findet und sich an anderen oder zu hohem Anspruch misst, geht spätestens beim Laufen in die Knie.


Jesus, Forrest Gump und ein Hamster

Auf dem Weg zum Ziel ist nur der Weg wirklich wichtig. Und das Ankommen. Und sei es auf allen Vieren. Schließlich, um es mit dem Dialektik-Triathleten Hegel zu sagen: „einmal auf dem Kopfe zu gehen“. „Bei einem Ironman hörst du auf, ans Aufhören zu denken“, berichtet ASV-Triathlon-Dialektiker Gregor Elskamp, 33. Für diesen Meta-Zustand zahlte Elskamp dieses Jahr das Hawaii-Startgeld von inzwischen 450 Euro zuzüglich Flug und Unterkunft. Als Lohn dafür, knapp zehn Stunden lang etwas zu tun, das man höchstens so erklären kann: „Es ist eine Metapher des Lebens. Es konfrontiert den Sportler mit jedem denkbaren Element: Kälte, Hitze, Berge, Ebenen, Schmerzen, kaputte Reifen, starke Winde, unsagbares Pech, unfassbare Schönheit, gähnende Sinnlosigkeit, und vor allem großer, tiefer Selbstzweifel (...) Es ist ein Test. Du wirst physisch, mental, und sogar moralisch geprüft.“ Zugegeben, das hat Lance Armstrong über die „Tour de France“ gesagt. Aber der ist ehemaliger erfolgreicher Triathlet.

Schwimmen, Radfahren, Laufen. Das bedeutet halb Ertrinken und in der Menge baden, Dehydrieren und Endorphine ausschütten, Aufgeben und Dranbleiben, Lachen und Heulen, Kämpfen und Verkrampfen, Sich Übergeben und Sich Übertrumpfen, Fluchen und Singen, Lieben und Leben. Wenn nur die Finishershirts nicht meistens so hässlich wären.
 

Infos: www.asv-triathlon.de
Wettkampf: www.koelntriathlon.de




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Autor und Copyright: Patrick Krause