Ein Erlebnisbericht von Werner
Winkhold-Gallina:
Bei den Startvorbereitungen auf dem Politeama Platz schimmert von Norden das
Mittelmeer.
Das riesige Fährschiff zeigt uns
seine geöffnete Ladeluke. Mit ihm kann man für EUR 45,- nach Tunis fahren,
wie uns die Werbeplakate an jeder Ecke anpreisen. Überall ist die Nähe
Nordafrikas zu spüren: Die arabischen Einwanderer kontrastieren mit ihrer
Bekleidung, die Kebab- Imbisse ergänzen die sizilianische Pasta- und Pizza-
Lokale, die Blumen und Sträucher wirken fremd und stehen jetzt am 7.
Dezember immer noch in Blüte. Befremdlich wirken auf uns allerdings die
weihnachtlich geschmückten Palmen auf Palermos Plätzen.
Mit gelassener Ruhe werden die
etwa 4000 Teilnehmer des Marathons und des Halb-Marathons darauf
vorbereitet, dass der Start nun doch erst um 8.30h erfolgt.
Italienische Leichtigkeit des
Seins: Nicht nur dass eine Verschiebung des Starts kein Problem darzustellen
scheint nein am Abend vorher zeigte sich ebenfalls schon eine besondere
Art Probleme anzugehen.
Marion und Sven waren auch mit
einem Billig-Flugticket nach Palermo gekommen. Ihrer Anmeldung waren sie
allerdings nicht ganz sicher, da sie übers Internet erfolgte und nicht
bestätigt wurde. Eine extra mail- Anfrage beim Organisator hatte mir selbst
zwei Wochen vor dem Termin eine gewisse Sicherheit vermittelt. Problemlos
erhielt ich dementsprechend in einem größeren Partyzelt auf dem Politeama
Platz meine Startunterlagen in einem
super-chicen roten Rucksack mit
Handytasche. Marion und Sven stehen vor größeren Herausforderungen.:
Eigentlich waren sie in der Meldeliste nicht zu finden, aber man könnte es
ja mal mit ähnlich klingenden Namen versuchen, die dann eigentlich nicht zum
Erfolg führen, so dass man eigentlich nachträglich eine Anmeldung annehmen
könnte, obwohl die Anmeldefrist schon vorbei ist, wozu man angesichts der
weiten Anreise aus Deutschland bereit sei, wenn die beiden dass ärztliche
Attest vorlegen könnten. Leider liegt das Attest zu Hause, so dass man
eigentlich keine Anmeldung machen kann, was man dann schließlich doch macht,
obwohl die Anmeldung eigentlich nicht stattgefunden haben kann. Herrlich!
Etwa 3000 Halb-Marathonläufer und
580 Maratoni kommen auf den ersten beiden leicht abfallenden Kilometern zur
Piazza Vergogna (Quattro Canti) ohne viel Gedränge gut in die Gänge. Leicht
steigend biegend wir dort in den Corso Vittorio Emanuele. Nach fünfhundert
Metern schweift der Blick über die Piazza Cattedrale zum Dom in maurischen
Stil. Nach diesem Eintritt in Palermos antiker Stube geht es Schlag auf
Schlag weiter: Während ich auf die Porta Nuova zulaufe, erkenne ich links
die Spitzenläufer, die mir von der Piazza del Vittorio entgegenkommen. Noch
sind die Abstände zwischen den Top-Athleten nicht besonders groß, da sie
erst bei km 4 sind. Einer nach dem anderen taucht unter den Palmen auf und
jagt mit höllischem Tempo den Corso runter. Ich muss noch 200 m berauf bis
-nach Durchqueren der mächtigen Porta Nuova -die Umrundung des Palazzo di
Normanni ansteht. Über eine stark steigende Rampe geht es hoch mitten durch
den Vorhof der Cappella Palatina. Sie gehört zu den TOP 10 meines
Reiseführers Sizilien. Das dies zutreffen muss, lässt sich schon durch die
Pracht der Architektur erahnen.
Jetzt gehts auch für mich raus
unter die Palmen Palermos über die Piazza Parlamento und die Piazza della
Vittoria. Der Schatten der Bäume ist hilfreich, weil die Sonne sich bei
angenehmen 16° C zum ersten Mal sehen lässt und sofort eine erhebliche
Strahlungswärme mit sich bringt. Im Verlauf des Rennens wird sie sich jedoch
gnädig erweisen, weil sie nur hin und wieder eine Stippvisite geben wird.
Vorsorglich hatte ich an Laufbekleidung für alle Wetterlagen gedacht, was
sicher sinnvoll war.
Zurück am Quattro Canti geht es in
einer neuen Schleife ein weiteres Stück auf eine der Haupteinkaufsstraßen,
der Via Marqueda. Auch hier bei etwa acht Kilometern riskiere ich einen
Blick auf die Spitzenläufer. Als ich die Schleife hinter mich gebracht habe,
begegne ich Sven und später Marion. Wir haben wie viele Bekannte und Freunde
die Chance, zu winken und einen kleinen aufmunternden Gruß zu rufen. Die
Bevölkerung beginnt unterdessen den ersten Spaziergang durch die
Einkaufsstraßen. Sie mustern uns freundlich aber von Begeisterung ist nun
wirklich keine Spur. Teilweise scheint die Veranstaltung für viele
Einheimische sogar zu einer nervtötenden Angelegenheit zu werden, weil viele
Hauptverkehrsadern der Stadt zumindest zeitweilig gesperrt werden.
Insbesondere in der ersten Runde ist dies schwierig, weil im Läuferstrom
kaum eine Lücke frei bleibt.
Mit stoischer Geduld lassen die
kommunalen Ordnungskräfte Hupkonzerte und Schimpfkanonaden über sich
ergehen.
Die Lautsprecherdurchsagen zeigen
an, dass wir bei 10 km wieder in den Start-Zielbereich kommen. Nicht nur auf
Italienisch sondern auch auf Englisch und Deutsch werden wir willkommen
geheißen und angefeuert. Das Teatro di Politeama wird umkurvt und auf der
prachtvollen Platanenallee Viale della Liberta geht es schnurgerade nach
Westen aus der Stadt hinaus. Die Glühlampen an den Bäumen werden abends den
weihnachtlichen Glanz auch in diese edle Einkaufsstraße tragen.
Nach drei Kilometern taucht vor
mir der Eingang zum Naturreservat des Monte Pellegrino auf. War die Strecke
bisher wellig, so wird sie ab 15 km hügelig. Dafür sind wir jetzt im Grünen
mit schönen Ausblicken auf die Bucht, die Stadt und die umgebenden Berge.
Von Orangenhainen weht uns ein süßer Duft entgegen. Aleppokiefern und Bambus
spenden uns abwechselnd Schatten. Irgendwo bellen die aufgeregten Hunde
eines Tierheims. Wir schlängeln uns am Osthang des Monte Pellegrino immer
höher. Der Geruch von Pferdedung zeigt uns die Nähe der Rennbahn an. Ich
genieße die naturnahe Streckenführung und freue mich auf die leicht
abfallenden drei Kilometer zum Politeama. Der immer noch blühende Oleander
trennt den Mittelstreifen ab. Auf der anderen Alleenseite kommt mir eine
starke Gruppe von Kenianern und Marokkanern entgegen. Auch die ersten Frauen
kann ich auf ihrer zweiten Runde bewundern, als ich mich dem Ziel des
Halbmarathons nähere. Wer hier aufhört wird irgendwie von Helfern nach
rechts in den Zielkanal dirigiert. Es klappt wirklich die Gruppen zu trennen
und so erkenne ich bald schon, dass die zweite Runde wesentlich einsamer
wird.
Meine Befürchtung, dass eine
Wiederholung langweilig werden könnte ist unbegründet. Immer wieder gibt es
neue Eindrücke: Waren es vorher die flanierenden Frühaufsteher, so fallen
mir jetzt die prachtvoll herausgeputzten Singhalesen auf, die vom
Gottesdienst zurückkommen. So bleibt mir Zeit für eine kleine Gedankenreise
unter die Palmen von Tamil Nadu in Südindien, wo ich vor Jahren die
Einheimischen beim Osterfest beobachten konnte.
Mit einem Blick zur Seite bin ich
zurück in Palermo. Jetzt fallen mir die vielen kleinen Spezialgeschäfte auf
die meist auch am Sonntag geöffnet haben. Die Cafes wetteifern um die Gunst,
den Sizilianern den ersten Espresso zu servieren. Ab 30 km wage ich immer
wieder einen Blick zu den Eisdielen, wo ich schon am Vorabend einer
köstlichen Versuchung in Sahne-Eis-Form erlegen war. Sicher werde ich mich
nach dem Lauf damit belohnen.
Bei meiner vorletzten Passage des
Politeama wird bereits der Sieger angekündigt. Man erwartet ihn in fünf
Minuten. Ich freue mich, da ich zum zweiten Mal nach Rotterdam im Vorjahr
die Entscheidung direkt verfolgen kann. Zwischen den Platanen derViale della
Liberta erkenne ich in einer Entfernung von einem Kilometer die leuchtenden
Scheinwerfer des Führungsfahrzeugs. Polizei-Motorräder,
Radio-Reportage-Wagen und schließlich mit einem Vorsprung von etwa 200m der
Erste. Es ist mit der Startnummer 1 Francesco Ingargiola, ein Italiener auf
dessen Gesicht ich schon das Lächeln des Siegers leuchten sehe, obwohl er
noch 500m zu absolvieren hat. Hinter ihm mit deutlich vom
Entscheidungskampf gezeichnetem Gesicht folgt Edep Collins aus Kenia. Die
Siegerzeit das kann ich schnell schätzen- wird bei 2:14 h liegen. Während
ich die Allee leicht steigend entlanglaufe kann ich minutenlang die
Entscheidungen weiterverfolgen. Besonders beeindruckend dabei der harte
Kampf der nächsten vier Läufer, die in der Reihenfolge Lim Sin Su (Korea),
Benjamin Kipchuba (Kenia), Jumah Omar Al- Noor (Qatar) und Fouad Abobakir (Qatar)
mit Endzeiten von 2:17:10 bis 2:17:52 ins Ziel kommen werden.
Schade nur, dass ich die
Entscheidung der Frauen nicht mitverfolgen kann, da ich mittlerweile selbst
eine unerwartete Zwischenzeit habe. Hier wird schließlich Bun Hui Jo
(2:36:54) vor ihrer Landsfrau Song Suk U (2:40:03), beide aus Nord-Korea
siegen. Helene Willix aus Schweden wird dabei mit 13 Sekunden Rückstand auf
die Zweite den nächsten Platz belegen.
Noch einmal zum gehts für mich
zum Monte Pellegrino. Meine innere Uhr tickt auf Erfolgskurs. Bloß nicht
nachlassen. Dass eine seit langem nicht mehr für möglich gehaltene Zeit von
unter 3:20 drin ist, weiß ich. Aber es wird knapp. Bergauf im Fünfer-Schnitt
und das bei 37km, dann muss es bergab doch mit 4:45 pro km klappen. Und wenn
das geht, dann
passen auch noch die 195 Meter unter die Grenze. Noch
einmal werde ich von der jungen Ungarin Agnes Kepes überholt, die ich bei km
38 schon hinter mich gelassen hatte. Ich kämpfe mich wieder heran. Schaue
nicht mehr auf die Uhr sondern laufe, laufe, laufe. . .
Der erlösende Piep der Zeitnahme
und jetzt der Blick zur Uhr: 3:19:05 - Super.
In wenigen Minuten habe ich meinen
Kleidersack und spaziere mit einer eigenwilligen Medaille aus Ton um den
Hals zum Hotel.
Bald erscheinen Sven und Marion
und wir erkunden die Stadt ein weiteres Mal, jetzt allerdings bedeutend
langsamer. Abends kommen wir durch Zufall in eine Prozession an
St. Francesco. Wir sind von der
inbrünstigen Form der Madonnenverehrung sehr beeindruckt. Den ganzen Tag
über, als wir uns mit Marathon und Mehr beschäftigten, wurde eine irrsinnig
große silberbeschlagene Madonnenstatue von der Mitgliedern der Gemeinde
durch Palermo getragen. Vor unseren Augen wird sie kurz vor 20.00 Uhr von
etwa vierzig Männern über steile Stufen wieder in die Kirche von St.
Francesco gehoben, wo sie morgens um 10.00 die Prozession begann. Die Träger
schwanken einen kurzen Augenblick an der obersten Stufe. Einige springen
hinzu. Ein Schrei des Entsetzens der Frauen in der ersten Reihe. Und
schließlich unter Jubel, Klatschen, und Bravo Madonna-Rufen das erlösende
Auftauchen der silberglänzenden Statue im Tor der Kirche.
Der einsetzende Regen treibt uns
ins gegenüberliegende Lokal Antica Foccaceria, wo der Tag bei slow food
wunderbar endet.
Am nächsten Morgen hat das
schlechte Wetter nicht nachgelassen, so dass wir unsere Pläne für einen
Kurztrip nach Cefalu ändern und mit dem Bus ins 20 km entfernte Monreale
fahren. Dort besichtigen wir das letzte Zeugnis der Normannen, den
Mosaikenzyklus in der Kathedrale.
Der Abschied am Dienstag fällt
etwas schwer, da die Sonne wieder die Wetterregie übernommen hat. Bei 15° C
blinzle ich, denn der helle Marmor des Politeama Platzes reflektiert das
Licht unbarmherzig. Ich hole meine Sonnenbrille aus dem Rucksack, schlendere
zum nächsten Eiscafè und gönne mir mit Blick auf die weihnachts-
geschmückten Palmen zwei Bällchen.