Dr. Thomas Hermann (li.)
und Dr. Bodo Ungerechts (re.) haben gemeinsam mit Daniel Cesarini PhD
ein System entwickelt, das mit Klängen die Wahrnehmung von Schwimmern
erweitert.
Universität Bielefeld stellt das Projekt vor
Schwimmen ist seit 1896 eine
Disziplin der Olympischen Spiele. Forscherinnen und Forscher der Universität
Bielefeld haben ein System entwickelt, mit dem Profischwimmer ihre Technik
optimieren können. Das System erweitert die Wahrnehmung der Athleten: Es lässt
sie in Echtzeit hören, wie sich der Strömungsdruck verändert, den sie durch ihre
Schwimmbewegung erzeugen. Das System zur "Schwimm-Sonifikation" ist am
Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität
Bielefeld entwickelt worden. Im Video berichtet research_tv über die
Entwicklung.
"Schwimmerinnen und Schwimmer
sehen die Bewegung ihrer Hände, sie spüren auch, wie das Wasser über die Hände
gleitet, und sie registrieren, wie schnell sie sich fortbewegen. Einen Faktor
nehmen die meisten von ihnen aber kaum wahr: Wie sich der Druck verändert, den
die Strömung auf den Körper ausübt", sagt Dr. Thomas Hermann vom
Exzellenzcluster CITEC. Der Klangforscher arbeitet daran, Daten in Töne zu
überführen, die dem Hörer einen zusätzlichen Nutzen bringen. Sonifikation nennt
sich dieses Verfahren, das Messdaten systematisch in hörbare Klänge und
Geräusche umwandelt. "In diesem Projekt nehmen wir uns den Strömungsdruck als
Datenquelle vor", sagt Hermann, der am CITEC die Forschungsgruppe "Ambient
Intelligence" (Umgebungsintelligenz) leitet. "Wir vertonen in Echtzeit, wie sich
der Strömungsdruck beim Schwimmen verändert. Diese Klänge geben wir über
Kopfhörer an die Schwimmer weiter, so dass sie ihre Bewegung danach ausrichten
können", sagt Hermann.
Für die Forschung zur
Schwimm-Sonifikation arbeitet er mit Dr. Bodo Ungerechts von der Fakultät für
Psychologie und Sportwissenschaft zusammen. Als Biomechaniker befasst sich
Ungerechts damit, wie Menschen ihre Bewegungen, insbesondere beim Schwimmen,
steuern. "Wenn ein Schwimmer über das Hören den sich verändernden Strömungsdruck
registriert, kann er beispielsweise genauer abschätzen, wie er größeren Schub
bei gleichen Energieaufwand erzeugt. Er bekommt so ein umfassenderes
Wasserbewegungsgefühl", sagt Ungerechts. Der Forscher hat das System selbst
getestet. "Ich war überrascht, wie sehr die Verklanglichung und die
Strömungseffekte, die ich selber gespürt habe, übereinstimmen", sagt er. Das
System sei intuitiv nutzbar. "Man fängt sofort an, mit den Klängen zu spielen,
um zum Beispiel zu hören, welchen klanglichen Effekt es hat, wenn man die Finger
spreizt oder die Handstellung verändert", sagt Ungerechts. Das neue System
erlaube den Sportlern eine neue Trainingsmög-lichkeit. "Beim Schwimmen mit
diesem System entwickelt der Schwimmer einen Eigenklang - eine Art
Melodie. Wenn jemand besonders schnell eine Strecke gemeistert hat, kann er die
Aufzeichnung der Melodie nutzen, um diesen Erfolg in seiner Vorstellung zu
wiederholen und nachzuspüren. Durch dieses mentale Training kann er dann auch
bei Wettkämpfen erfolgreich sein." Hinzu kommt Thomas Hermann zufolge: "Das Ohr
nimmt hervorragend Rhythmen und Veränderungen in Rhythmen wahr. So können die
Schwimmer zu einem eigenen Rhythmus finden, um sich daran zu orientieren."
Zu dem System gehören zwei
Handschuhe mit dünnen Schlauch-Enden als Drucksensoren, die zwischen den Fingern
befestigt sind. Diese Handschuhe trägt der Schwimmer beim Training. Die
Schläuche sind mit einem Messgerät verbunden, das während des Schwimmens derzeit
noch mit einer Angel über dem Schwimmer geführt wird. Das Messgerät leitet die
Strömungsdruck-Daten an einen Laptop weiter. Eine eigene Software sonifiziert
die Daten, wandelt sie also in Klänge um. "Zum Beispiel kann der während der
wiederkehrenden Handaktion ansteigende und abfallende Druck als ansteigende
beziehungsweise sinkende Tonhöhe hörbar gemacht werden", sagt Thomas Hermann.
Andere Settings, die zum Beispiel die Symmetrie oder die Stetigkeit klanglich
herausarbeiten, können nach Bedarf aktiviert werden.
Die Töne werden in Echtzeit per
Stereo-Kopfhörer an den Schwimmer übermittelt. Verändert der Schwimmer eine
Bewegung, hört er live, wie sich auch der Ton verändert. Mit Hilfe der Vertonung
der Strömung kann er nun beispielsweise beim Kraulschwimmen trainieren, dass
beide Hände den verdrängten Wassermassen dieselbe Strömungsform geben -
er muss nur darauf achten, dass er jeweils den gleichen Ton erzeugt. Weil auch
der Trainer die Klänge über Lautsprecher hört, muss der sich bei Anweisungen
nicht mehr alleine auf beobachtete Bewegungen beziehen, sondern kann auch
Hinweise zu den erzeugten Klängen und ihrem Rhythmus geben ("Gestalte die
Handaktion so, dass der Ton schneller ansteigt").
Für das Sonifikations-Projekt
arbeiten Thomas Hermann und Bodo Ungerechts mit einem Kollegen der Universität
Pisa in Italien zusammen: Daniel Cesarini PhD von der Abteilung für
Informationstechnik hat das Messgerät entwickelt, das die Strömungsdaten
analysiert.
In einem Praxis-Workshop im
September 2015 bestätigten Profi-Schwimmer nach Tests, dass ihnen das System
hilft, ihre Technik zu optimieren. Von den zehn teilnehmenden Schwimmerinnen und
Schwimmern sind drei für internationale Wettkämpfe qualifiziert, eine
Schwimmerin startet dieses Jahr bei den Paralympics in Rio de Janeiro.
Finanziert wurde der Workshop vom Exzellenzcluster CITEC. Außerdem haben
Schwimm-Mannschaften des PSV Eindhoven in den Niederlanden das neue System zwei
Monate lang getestet und als Teil des Trainings eingesetzt. Der Verein tritt in
den Niederlanden in der höchsten Schwimmklasse an.
"Für die Schwimmerinnen und
Schwimmer ist von Vorteil, dass die Klänge ihnen eine unmittelbare Rückmeldung
zu ihrem Schwimmverhalten liefern", sagt Thomas Hermann. "Menschen lernen
schneller, wenn sie direktes Feedback erhalten. Denn sie können sofort erproben,
wie sich das Feedback - in diesem Fall der Klang -
verändert, wenn sie etwas Neues ausprobieren."
Ihren derzeitigen Prototypen
wollen die Wissenschaftler weiterentwickeln. "Wir planen ein tragbares System,
das unabhängig von anderen Personen genutzt werden kann", sagt Thomas Hermann.
Außerdem soll das neue Verfahren in Kooperation mit Schwimmvereinen in ein
langfristiges Trainingsprogramm eingebaut werden.
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Autor und Copyright: Sandra Sierras / Beitrag der Universität Bielefeld