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Erich Tomzig: Bericht eines Staffellaufes durch die DDR
 
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22.08.2002 

 

Vorwort: Kurz nach der Grenzöffnung der DDR veranstalteten einige Lauffreunde einen Staffellauf durch die ehemalige DDR. Eine 725km lange Route von Süd nach Nord, die sie in 7 Tagen zurücklegten. Unter ihnen war auch Erich Tomzig, der seine Erlebnisse in einem Bericht niederschrieb. (Laufen-in-Koeln)

Ein grenzenloser Lauf
 
Dienstag, 13. März 1990 (112 km). Die Grenzer waren über unser Vorhaben informiert, wir tauschten unsere T-Shirts gegen Fahnen der DDR ein. Eine 13köpfige Läuferschar startete gemeinsam mit uns vom südlichsten Punkt, einem Grenzstein im Niemandsland. Ein Soldat gab den sinnbildlichen Startschuss durch Handklatschen und es begann diese erste Etappe gelaufen durch Alfons mit einer langen Steigung bei klarem Himmel mit Temperaturen um 0 Grad. Auf den Hängen links und rechts lag noch Schnee. Bis Adorf liefen wir über die stark befahrene Transitstrecke ständig im Schutz der Polizei. 2 Läufer aus Karl-Marx-Stadt begleiteten uns den gesamten Tag in gleichem Wechsel wie wir. Zu bedauern war Gerd; bei diesen Temperaturen, untertourig fahrend, musste er alles anziehen was verfügbar war, um warm zu bleiben. Wir erlebten den wohl schönsten Bereich des Erzgebirges über Klingenthai nach Schönheide, ein ständiges Auf und Ab durch Wälder entlang von Stauseen. Aber welcher krasse Unterschied sollte uns an diesem Tag noch erwarten. Zwar vorgewarnt durch Briefwechsel mit dortigen Sportlern, erlebten wir abends das Industriegebiet von Aue über Stollberg nach Karl-Marx-Stadt in der „Rush Hour" von der extrem schlechtesten Seite. Die allgemeine Luftverschmutzung gab uns das Gefühl eine Entzündung der Luftwege zu haben. Alle waren wir abends heiser. Auch auf dieser Etappe stellten wir Ungenauigkeiten in unserem Kartenmaterial fest, aber immer waren die Strecken länger und so erreichten wir eine Stunde später wie geplant bei vollkommener Dunkelheit Karl-Marx-Stadt. Nach heißer ausgiebiger Dusche und verspätetem Abendessen fielen wir wie tot in die Betten. Unsere Gastgeberin versprach uns, ihre um 5 Uhr beginnende Frühschicht mit der Zubereitung unseres Frühstücks am nächsten Morgen zu unterbrechen, damit wir wohl versorgt erneut starten könnten.
 

Mittwoch, den 14. März 1990 (95km). Sie hatte Wort gehalten und so konnten wir guten Mutes vom Rathaus Karl-Marx-Stadt auf unsere nächste Etappe gehen. Ca. 20 km weniger wie die letzten Tage, aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Einige Läufer begleiteten Alfons und mich bis Freital, von da aus ging es landschaftlich sehr schön durch den Tharanter Wald Richtung Dresden. Auf einmal, ein Läufer kam mir entgegen, „bist Du es Erich?" „Ja, dann kannst du nur Stefan sein", Umarmung aus Freude dass wir uns trafen. Wir hatten vorher schon brieflichen Kontakt. Und weiter ging es mit vorbildlicher Polizeibegleitung Richtung Dresden. Von der Stadtgrenze liefen wir gemeinsam, Alfons, Stefan und ich. Das Zentrum war leider für den Straßenverkehr gesperrt und so liefen wir ohne obligatorisches Erinnerungsfoto entlang der Semper Oper und des Zwingers. Stadtauswärts benutzten wir die Hauptstraße in Richtung Meißen, plötzlich nur noch Schotter, Schlaglöcher, die die Einrichtung unseres Wohnmobils durcheinander brachte; laut Aussage von Anliegern wird das Kopfsteinpflaster in den Westen für harte DM verkauft, aber keiner weiß, wie lange das Schild „Achtung Baustelle" noch stehen wird.
 
Da unser Wohnmobil uns durch die ständigen Umleitungen verfehlte, war Alfons, der vor Dresden schon seinen Teil abriss, und durch ständigen Regen so ausgekühlt war, bereit, sich durch Polizei oder Taxi zum Wohnmobil bringen zu lassen. Gerd, der jedes Schlagloch über Po-Meter registrierte, begleitete mich weiter. Ca. 20 km vor Meißen trafen wir auf eine große Läufergruppe, informiert durch Dietmar Heinrich. Er hatte dort alles organisiert (incl. Geburtsurkunde) und zum Einlauf in die Stadt alles voll im Griff, und so erreichten wir den Marktplatz unterhalb der Marksburg mit Blaulicht und Sirenen inmitten einer Wahlveranstaltung (Zufall). Erinnerungen an meine Geburtsstadt wurden wach und viele Geschenke wurde mir übergeben und zu Fuß gingen wir gemeinsam durch die Altstadt von Meißen. Den Abend beschlossen wir in gemütlicher Diskussion mit vielen Sportlern bei Dietmar zu Hause, Dank seiner Frau.
 
Donnerstag, den 15. März 1990 (121km). Die Polizei erwartete uns schon vor unserem Start an Dietmars Wohnung (vor einem halben Jahr noch undenkbar!). Gemeinsam starteten wir bis an die Stadtgrenze Meißens. Zwei weitere Läufer begleiteten uns bis Torga über 73 km. Aber welch Tücke der Landkarte, geplant war über Mühlberg zu laufen, auf unserer Karte links der Elbe, nur der Ort lag auf der anderen Seite ohne Brücke, und die Polizei nahm ihre Aufgaben sehr genau und durch diese Unstimmigkeiten musste Alfons mit seinen 2 Mitläufern fast zweieinhalb Stunden ohne Begleitung und Unterstützung laufen. Schluss endlich trafen wir wieder zusammen und ich konnte ihn ablösen. Nach weiteren 3 Wechseln trafen wir wieder auf eine größere Gruppe von Sportlern aus Wittenberg und Umgebung. Es tauchte ein Fahrzeug vor uns auf, geschmückt mit dem Banner des DTSB und kleinen Wimpeln gefahren von Frau Roh aus Absdorf/Wittenberg. Gemeinsam mit Läufern der BSG Chemie Piesteritz und Freunden von Klaus-J. Roh erreichten wir Wittenberg. Da mehrere Einladungen ausgesprochen wurden, einigten wir uns auf gemeinsames Abendessen in einem Sportheim und gemütlichem Ausklang bei Familie Roh am offenen Kamin.
 
Freitag, den 16. März-1990 (nur 93km, aber wieder eine Ente). Durch Vermittlung von Lothar Matthes, 7.30 Uhr Empfang bei Bürgermeister Hans-J.Schmidt im Wittenberger Rathaus. Danach Startschuss, eine komplette Klasse der Berufsschule für Fahrzeugbau schickte uns mit dem Bürgermeister auf die Reise, nur noch 93 km bis Berlin, eine unserer leichtesten Übungen. Der Anfang der Etappe war ruhig, Wechsel auf Wechsel, bis in der Nähe von Treuebritzen, ein Trabbi fuhr neben mir her, ein älterer Herr (Entschuldigung) in dunklem Anzug und Krawatte schaute heraus und sagte, „ich begleite Euch nun bis nach Ost-Berlin". Es war Werner Zock, einer der bekanntesten Organisatoren der Berliner Laufszene. An allen markanten Punkten fotografierte er unseren Durchlauf, die letzten Kilometer bis zur Glienecker Brücke in Potsdam begleiteten uns 7 Läufer die mangels Ausweise (!) die Grenze nach West-Berlin nicht passierten (oder durften). „Ihr werdet da drüben erwartet", sagten sie uns. Aber die Enttäuschung war riesengroß! Trotz Abendstunde und vorheriger Zusage lief kein Schwein (entschuldigt den Ausrutscher) die 30 km durch West-Berlin mit uns. Angekommen am Brandenburger Tor, Ziel unserer Tagesetappe, erwartete uns als einziger Werner Zock, welche Ernüchterung nach dem tollen Empfang in Leipzig. Aber was soll's, Werner hatte alles im Griff (trotz fehlender Dusche). Er las uns jeden Wunsch von den Lippen ab. Trotz später Stunde bei akuter Sehnenscheidenentzündung meinerseits noch Arztbesuch bei Dr. Dorit Rösler, die mir durch ihre Behandlung die letzten Kilometer erträglich gestaltete.
 
Samstag, den 17. März 1990. Ruhetag. Als Ehrengäste gaben wir den Startschuss zum Frühjahr im Wäldchen. Danach Kudamm, Zoo, Europazentrum, an ein 40-maliges Umlaufen des Brandenburger Tores war wegen der 3-reihig wartenden 250 m langen Touristenschlange nicht zu denken. Was wollen die denn, war zu hören. Bekloppt! Verrückt. Sich interessant machen und vieles andere mehr. Nach intimer Nudelparty im kleinsten Kreise zurück zu unserem Quartier bei der BSG Rotation in Ostbrol.
 
Sonntag, den 18. März 1990 (110km). Start von Alfons gemeinsam mit einem Ostberliner Langstreckler, der uns bis Löwenberg begleitete. Es war der Tag der Wahlen und viele, die uns vielleicht lieber begleitet hätten, gingen mit ihren ganzen Familien zu den Wahllokalen, denn ehrlich gesagt, wenn es um das Wohl und Wehe einer Nation ging, mussten wir, und das akzeptierten wir, hinten anstehen (es ist auch schön allein in der Frühlingssonne, nur von Faltern begleitet — natürlich auch von Gerd — seine km abzuspulen). Zum Abend zu, ab Fürstenberg, tauchten mehr und mehr Sportler auf, teils aus Neustrelitz aber auch schon Läufer von der BSG Turbine Neubrandenburg. Je näher wir unserem heutigen Etappenziel kamen, desto dichter wurde die Gruppe der Begleitung. Auf den letzten Kilometern waren Jugendliche und Schüler dabei, als wir mit Blumen empfangen in Neustrelitz einliefen. An meinem Schreibtisch steht in Augenhöhe Erinnerung an das Neustrelitz Mäuschen. Den Tag beschlossen wir mit Abendessen in der Orangerie und der Theaterklause und anschließend in unterschiedlichen Quartieren mit großer Diskussion um den Wahlausgang.
 
Montag, 19. März 1990 (113 km). Alles in der Hand von Jörg Knospe. Nach verspätetem Start meinerseits (Grund: Letztmaliges Spritzen der Sehne) erreichte ich Alfons kurz vor Usadel. Ich lief 12 km und danach mit Alfons gemeinsam durch Neubrandenburg. Es war ein toller Empfang. Mutter Kluge und Einheimische in ihren Trachten mit Musik erwarteten uns mit Schmalzgebäck zu einer kurzen Verschnaufpause. Fotos, Interviews und Kurzgespräche mit Vertretern der Stadt. Die Freudentränen bei den anderen hatten tiefere Gründe bei mir. Es zeigte sich ab, dass auf den letzten km der übliche Wechselrhythmus nicht mehr durchführbar war. Nun kam die große Stunde von Gerd, der etappenweise für mich einspringen musste und welche große Überraschung, Rolf Weinbrenner, der zu einem Besuch bei seiner Schwester in der DDR war, stieß zu uns. Die letzten km bis Milzow spulte Alfons in gewohnter Manier ab, begleitet während der Dunkelheit von Rolf.
 
Dienstag, den 20. März 1990 (81km). Unsere letzte und kürzeste Etappe begann pünktlich wie alle anderen. Dass wir uns der Küste näherten, zeigten schnurgerade Straßen in vollkommener Ebene, wenn es nicht so dunstig gewesen wäre, hätten wir die Türme von Stralsund schon am Horizont erkennen können. Mein Fuß passte mittlerweile in keinen Schuh mehr, so dass ich mich vorerst auf Begleitung und Fotografieren beschränken musste. Stralsund ist die letzte Stadt vor dem Rügendamm. Alfons wurde beinahe von einem Busfahrer übersehen, aber er lief ohne Komplikationen weiter in Richtung Bergen. Gerd war wieder an der Reihe, zusammen mit einem Rügener „Pärchen" lief er meine Kilometer, danach wieder Alfons in Begleitung von Rolf. Dank der Organisation von Helga Cornelius gesellten sich immer mehr Sportler zu uns, um uns auf den letzten Kilometern bis zum Kap Arkona zu begleiten. Kinder liefen mit uns mit strahlenden Augen. Sie hatten extra schulfrei. In den Felsen von Kap Arkona war ein großes Zieltransparent für uns befestigt. Unter dem Beifall vieler Sportler wurden uns von der charmanten Bürgermeisterin von Putgarten Blumen und Urkunden, unterzeichnet vom Rat des Kreises, überreicht. Es war ein wunderbarer Abschluss und ich glaube, auch im Namen des Teams sagen zu können, wir sind glücklich auf diese außergewöhnliche Art und Weise Land und Leute kennen gelernt und Freundschaften geschlossen zu haben. Am Ziel auf Rügen bereitete Störtebecker einen ehrenvollen Empfang.





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Autor: Copyright E. Tomzig 1990,
Foto 1 Udo Zander: Ãœberall herzlich willkommen, wie hier in Neubrandenburg,
Foto 2 S. Schütt: Am Ziel auf Rügen bereitete Störtebecker einen ehrenvollen Empfang