Fünf
Medaillen haben sie bei den Olympischen Spielen 1972 gewonnen, und auch
50 Jahre später können sich Heide Ecker-Rosendahl, Ulrike Nasse-Meyfarth
und Rita Wilden noch gut an damals erinnern. Anlässlich des 50-jährigen
Jubiläums ihrer Erfolge von München haben wir die ehemaligen
Bayer-Athletinnen zum Interview getroffen. Ecker-Rosendahl, damals der
Star des deutschen Teams mit Ringelsocken und runder Brille, gewann am
31. August 1972, also heute vor 50 Jahren Gold im Weitsprung. Außerdem
siegte sie mit der deutschen 4 x 100-Meter-Staffel und holte Silber im
Mehrkampf. Nasse-Meyfarth gewann überraschend als damals 16-Jährige den
Hochsprung-Wettbewerb, und 400-Meter-Läuferin Wilden wurde im Einzel
Zweite und holte mit der Staffel Bronze.
Welch illustre Runde, schön dass Ihr da seid und Euch Zeit nehmt für
ein Gespräch! Ihr seid ja sehr gefragt in diesem Jubiläumsjahr. 50 Jahre
sind vergangen seit den Olympischen Spielen von München und Euren
Erfolgen dort. Welche Erinnerung an damals ist bei Euch jeweils die
präsenteste?
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Bei der Eröffnungsfeier bekam ich eine leise Ahnung von der Stimmung,
die uns bevorstand. Die Musik war toll, die Farben von Otl Eicher, die
haben das Stadion und die ganze Stadt geprägt, die Piktogramme, die er
gestaltet hat, fand ich beeindruckend. Das war für mich etwas ganz
Neues.
Heide Ecker-Rosendahl:
Im Grunde auch die Stimmung, die in München vorherrschte während der
Spiele. Die Bevölkerung war unheimlich interessiert, freundlich,
hilfsbereit. Die haben einem den Aufenthalt dort zur Freude gemacht. Der
Olympiapark kommt mir auch immer wieder in Erinnerung, das ist einfach
ein tolles Gelände. Ich habe so viele olympische Sport-Gelände gesehen ?
das ist eines der schönsten, das ich kenne. Das bleibt. Und dann kommen
irgendwann natürlich auch die Wettkämpfe.
Rita Wilden:
Das ist bei mir auch so. Es war eine wunderschöne Stimmung. Schon
morgens, wenn wir den Vorlauf hatten, ich hatte den um 12 Uhr, war so
viel Publikum da und alle haben einen angefeuert. Das war einfach toll.
Es war so eine lustige Stimmung, so eine glückliche Stimmung, einfach
wunderbar.
Bei jeder
von Euch gab es mindestens eine Besonderheit. Heide, Du bist als
Schlussläuferin der 4 x 100-Meter-Staffel auf die als unschlagbar
geltende 100-Meter-Weltrekordhalterin und Olympiasiegerin Renate Stecher
aus der DDR getroffen. Zur Überraschung aller konntest Du den kleinen
Vorsprung halten. Wie hast Du das gemacht?
Heide Ecker-Rosendahl:
Nach dem Vorlauf war klar, dass Renate auch Schluss laufen würde. Das
war eine wahnsinnige Herausforderung. Sie war Olympiasiegerin über 100
und 200 Meter und ich wusste vom Vorlauf, dass das beim letzten Wechsel
knapp wird. Aber ich habe Herausforderungen immer geliebt, das Kämpfen
hat mir Spaß gemacht. Ich wusste nach dem Vorlauf, dass wir eine Chance
haben und ich war bereit, die zu nutzen. Und das hat geklappt.
Vorher hattest Du schon Gold im Weitsprung und Silber im Fünfkampf
gewonnen. Ist Dir eine der drei Medaillen von München lieber als die
anderen?
Heide Ecker-Rosendahl:
Man denkt nicht immer nur an die Medaillen, man denkt im Grunde an
den Wettkampf. Ich war vom Herzen Mehrkämpferin. Die zwei Tage im
Stadion mit allen Aufs und Abs, man freut sich für die andere, wenn sie
eine gute Leistung bringt, auch wenn sie mir Punkte wegnimmt, das ist
der Wettkampf, der mir am meisten am Herzen lag. Beim Weitsprung war ich
gar nicht so glücklich, ich bin sechsmal ins gleiche Loch gesprungen.
Ich konnte mehr, ich konnte weiter springen. Am Ende war ich froh, dass
es mit einem Zentimeter gereicht hatte. Und die Staffel ist eine
Mannschafts-Übung, die mussten mir den Stab erstmal auf gleicher Höhe
bringen, das ist ein Erfolg, der uns allen Vieren gehört.
Also ist die
Mehrkampf-Medaille Dir die liebste?
Heide Ecker-Rosenhal:
Ja.
Ulrike, Du
warst erst 16 Jahre alt und bist als eine der wenigen den Fosbury-Flop
gesprungen. Also mit dem Rücken zur Latte. Die Technik hatte erst vier
Jahre vorher der Amerikaner Dick Fosbury aufgebracht. Warum hast Du
darauf vertraut?
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Ich bin mit 12 Jahren zur Leichtathletik gekommen und hatte genug
Zeit, das zu üben. Den Straddle habe ich auch versucht, aber da musste
man Älter werden und mehr Kraft erreichen. Das hatte ich damals noch
nicht zu bieten. Mit dem Flop kamen die Erfolge schneller. Aber ich
musste aus Überlebensgründen immer mal wieder auf den Schersprung
zurückgreifen, weil es noch nicht überall die dicken Matten gab. Es hat
sich erst im Laufe der Zeit eingespielt, dass das Material vorhanden
war.
Heide Ecker-Rosendahl:
Das ist der Grund, warum ich immer noch den Straddle gesprungen bin.
Wir hatten keine Matte. Und auf einen Sandhügel konnte man den Flopp
nicht machen.
Bei 1,90
Meter stand Dein Sieg fest. Danach hast Du 1,92 Meter auflegen lassen,
Weltrekordhöhe. Warum wolltest Du die Marke egalisieren und hast nicht
direkt einen Zentimeter drauf gepackt?
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Das war für mich an dem Tag zu hoch, im Kopf. Ich habe mich danach
auch noch an 1,94 Metern versucht. Aber die wollte ich eigentlich schon
gar nicht mehr schaffen. Das war schon so alles unbegreiflich für mich.
Wie blickst
Du heute auf diese Unbegreiflichkeit von damals zurück?
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Damals war die Weltspitze im Hochsprung der Frauen noch nicht so wie
heute. Da konnte mir das passieren mit dem Olympiasieg. Heute wäre das
nicht mehr möglich, dass eine 16-Jährige Olympiasiegerin wird. Im Turnen
und im Schwimmen vielleicht, aber in der Leichtathletik nicht mehr.
Rita, Du kamst von den
kürzeren Sprintstrecken und hattest kurz vorher begonnen, Dich auf die
400 Meter zu konzentrieren. Warum?
Rita Wilden:
Ich bin im Mai 1972 zum ersten Mal die 400 Meter gelaufen. Bei den
Olympischen Spielen 1968 bin ich die 200 Meter und die 4 x
100-Meter-Staffel gelaufen. Meine Trainer Gerd Osenberg und ich haben
dann umgestellt, wir haben gesagt, wenn ich bei den Olympischen Spielen
1972 eine Chance haben will, dann sind die 400 Meter für mich ganz gut.
Meine 200 Meter waren immer besser als die 100 Meter. Ich hatte einen
relativ langen Schritt. Und dann lief ich auf Anhieb im zweiten oder
dritten Rennen deutschen Rekord. So hat sich das gesteigert.
War das ein
Aha-Erlebnis für Dich? Dass Du gemerkt hast: Mensch, das ist meine
Distanz?
Rita Wilden:
Ich hatte ein bisschen Angst davor. Ich musste ja innerhalb von vier
Tagen vier Läufe machen, ich hatte noch nicht so viel Erfahrung und
wusste nicht, ob ich das schaffe. Aber es hat wunderbar geklappt. Ich
war vorher nur nie gegen die Weltrekordlerin gelaufen, die dann ja auch
gewonnen hat, Monika Zehrt aus der DDR. Wenn ich vielleicht vorher mal
gegen sie gelaufen wäre und gesehen hätte, dass ich gar nicht so weit
entfernt bin von ihr, dann hätte ich mir noch eine Chance ausgerechnet,
zu gewinnen. Es war ja relativ knapp. Aber so war das eben, und ich war
sehr glücklich mit meiner Silbermedaille. Ich wollte in den Endlauf
kommen und nicht Letzte werden.
Ihr alle
habt beim legendären Bayer-Coach Gerd Osenberg trainiert. Heide und Rita
damals schon, Ulrike ab 1977, als sie aus Köln nach Leverkusen kam.
Später führte er auch Heike Henkel zum Olympiasieg. Was hat ihn zu einem
so erfolgreichen Trainer gemacht?
Heide
Ecker-Rosendahl:
Er war ein Wahnsinns-Trainer. Gerd war einfach vom Wesen her
unheimlich ausgeglichen. Er war nie aufgeregt, er war unheimlich
kreativ, was der für Übungsformen gefunden hat, das Training war nie
langweilig. Wir haben immer diskutiert. Das hat er mit den anderen
Athleten auch so gemacht.
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Mit mir zusammen hat er den Flop erlernt, bis dahin hat er ja nur den
Straddle gekonnt. Oder auch nicht.
Heide Ecker-Rosendahl:
Ich konnte ihn nicht gut.
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Er war sicherlich ein bisschen skeptisch, als ich damit zu ihm kam.
Es war eine spannende Angelegenheit, wir haben quasi bei null angefangen
und viel experimentiert. Es hat echt Spaß gemacht, mit außergewöhnlichen
Ideen Erfolg zu haben.
Rita, Dich hat er zu den
400 Metern gebracht.
Rita
Wilden:
Er ist auf jeden Athleten speziell eingegangen. Und er hat jedem das
Gefühl gegeben, dass er für einen da ist. Und er hat einem viel
Sicherheit im Wettkampf gegeben. Ein Blick auf die Tribüne hat für mich
schon gereicht, dann war ich ruhiger. Er war ein toller Trainer.
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Man durfte damals ja auch nicht coachen. Wenn der Trainer am Rand
irgendwo stand, dann hat der irgendwelche komischen Bewegungen gemacht
und ich durfte das eigentlich gar nicht sehen. Heute ist ja jeder
Trainer im Fernsehen zu sehen.
Heide, für Dich war München das Finale einer großen Karriere - und
für Dich Ulrike war es der rasante Start in eine große Karriere. Wie
habt Ihr einander damals wahrgenommen?
Heide
Ecker-Rosendahl: Sie war in unserer Nationalmannschaft und sie war
das Küken, das hat man schon mitgekriegt. Ich war auch bei ihrem
Wettkampf im Stadion und habe geschaut, wie sie immer höher und noch
höher gesprungen ist. Da habe ich schon gedacht: Den Flop hätte ich
besser auch gelernt.
Ulrike
Nasse-Meyfarth: Die Heide hat mir dann auch gratuliert.
Heide
Ecker-Rosendahl:
Aber dass wir mehr miteinander zu tun hatten, war erst, als ich
anders im Verein tätig und sie noch immer am Springen war.
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Heide war der Star damals und weit weg von mir. Sie war das
Gesicht der Leichtathletik, ganz einfach.
Und nach München warst Du
es plötzlich mit.
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Ja, da habe ich mich ein bisschen eingemischt.
Damals war Olympia in
Deutschland ein willkommenes Fest, das bis zu dem furchtbaren Attentat
auf israelische Sportler ausgelassen gefeiert wurde. Heute gibt es in
der Bevölkerung viele Vorbehalte gegen eine neuerliche Bewerbung
Deutschlands um die Ausrichtung Olympischer Spiele. Würdet Ihr es Euch
dennoch wünschen? Und wenn ja, warum?
Ulrike Nasse-Meyfarth:
Ich fände es toll, wenn Deutschland da die Kurve kriegen würde. Aber
das muss von ganz oben gewollt werden. Erleben werden wir das wohl nicht
mehr.
Heide Ecker-Rosendahl:
Die Ausstrahlung auf junge Menschen, die sich für den Sport
begeistern, wäre groß. Das war auch 1972 so. Viele junge Leute heute
sind überhaupt nicht mehr sportbegeistert, die kennen die Sportarten
nicht mehr, höchstens ein bisschen Fußball. Es würde allen Sportarten
guttun, Olympische Spiele in Deutschland zu erleben. Ich habe nur Angst,
dass Olympische Spiele, wie sie jetzt sind, nicht mehr überschaubar
sind. Wenn zu viel Überflutung da ist, dann distanziert man sich. Man
muss das in einem Rahmen halten, dass es nahbar ist, dass man bewusst
alles miterleben kann.
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