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Wie unser Gehirn Strecken schätzt |
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Probanden
mit EEG-Kappe helfen der Neurophysik, Hirnaktivitäten zu studieren |
Wie unser Gehirn Strecken schätzt
Ein Team aus der Marburger
Neurowissenschaft hat untersucht, wie unser Gehirn abschätzt, welchen Anteil
einer Strecke wir bereits zurückgelegt haben. Die Forschungsgruppe um den
Physiker Professor Dr. Frank Bremmer berichtet im Fachblatt "eNeuro" über seine
Ergebnisse.
Verhaltensexperimente zeigen:
Menschen sind in der Lage, eine zuvor beobachtete Wegstrecke allein auf der
Grundlage visueller Informationen aktiv zu reproduzieren. Wie geht das? "Wir
bewegen uns täglich scheinbar mühelos durch den Raum", sagt Bremmer. "Wir
weichen dabei Hindernissen aus und können zuverlässig abschätzen, wie viel
unserer Strecke auf dem Weg zu einem Ziel wir bereits zurückgelegt haben".
Neurowissenschaftlich
betrachtet ist diese Aufgabe aber alles andere als einfach. Zwar weiß die
Wissenschaft inzwischen recht gut, in welchen Gehirngebieten die Richtung einer
Eigenbewegung verarbeitet und kodiert wird. "Zur Distanz lagen bislang jedoch
deutlich weniger Studien vor", erklärt der Physiker. "Insbesondere zur Frage, ob
es neuronale Korrelate des Erreichens von Zieldistanzen gibt, und wenn ja, ob
diese ein objektives oder subjektives Maß repräsentieren."
Dieser Frage widmete sich eine
aktuelle Studie der Arbeitsgruppe Neurophysik an der Philipps-Universität
Marburg. Die Hauptautorin der Studie, Dr. Constanze Schmitt, testete dazu
Versuchspersonen in einer Wahrnehmungsaufgabe, während sie mittels EEG deren
Gehirnaktivität maß. Die Versuchspersonen sahen zunächst auf einem Bildschirm
eine simulierte Vorwärtsfahrt über eine Ebene. Dann sollten sie mittels eines
Computer-Joysticks ihre Bewegung selber steuern, und zwar genau das Doppelte der
zuvor gesehenen Distanz.
"Ziel unserer Studie war es,
herauszufinden, ob der Zeitpunkt, zu dem die Probanden die erste Hälfte ihrer
selbst gesteuerten Fahrt zurückgelegt haben, also die ursprünglich gezeigte
Distanz, von spezifischer Gehirnaktivität begleitet wird", erläutert Schmitt.
"Zudem wollten wir unsere Vorhersage testen, die für die eigeninduzierte
Bewegung generell geringere Gehirnaktivität vorhersagt als für die vom Computer
induzierte Bewegung", ergänzt Bremmer.
Beide Hypothesen konnten
bestätigt werden. Beim Beginn der eigeninduzierten Bewegung fand das Team
kleinere Amplituden der sogenannten ereigniskorrelierten Potentiale. "Dieser
Befund war erwartet", legt Schmitt dar. "Er entspricht der Idee, dass Reize, die
man selber erzeugt und damit vorhersagen kann, weniger stark im Gehirn
verarbeitet werden als unerwartete Reize."
Zum anderen zeigte sich zum
Zeitpunkt des Erreichens der einfachen Distanz eine kurzzeitige Erhöhung der im
EEG gemessenen Gehirnaktivität. Bemerkenswerterweise trat diese
Aktivitätserhöhung jedoch nur beim Erreichen der subjektiven, nicht der
objektiven einfachen Distanz auf. "Dieses Ergebnis war unerwartet", führt
Bremmer aus. "Die gefundene Aktivierung war zeitlich sehr präzise. Allerdings
können wir bislang noch nicht sagen, welche Gebiete im Gehirn für sie
verantwortlich sind." Die Gruppe will in kommenden Studien, auch in
Zusammenarbeit mit den hiesigen Kliniken für Neurologie und Neurochirurgie,
dieser Frage weiter nachgehen.
Die Neurowissenschaften zählen
zu den Profilbereichen der Philipps-Universität Marburg; Professor Dr. Frank
Bremmer leitet hier die Arbeitsgruppe Angewandte Physik und Neurophysik. Der
Physiker ist Gründungsdirektor des mittelhessischen Forschungszentrums "Center
for Mind, Brain and Behavior" (CMBB), in dem Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler der Universitäten Marburg und Gießen zusammenarbeiten. Er
amtiert außerdem als Sprecher des Internationalen Graduiertenkollegs 1901 der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Thema "The Brain in Action", gehört
dem Vorstand des Sonderforschungsbereichs 135 der DFG zum Thema "Kardinale
Mechanismen der Wahrnehmung" an und ist Ko-Sprecher des Clusterprojekts "The
Adaptive Mind - TAM", das das Hessische Wissenschaftsministerium eingerichtet
hat.
Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft und das Hessische Wissenschaftsministerium förderten die
Forschungsarbeit finanziell.
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Autor und Copyright: Philipps-Universität Marburg
Foto: Rolf Wegst für CMBB
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