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Birgit Schönherr-Hölscher neue Europameisterin 100km
 
 
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19.06.2006  

 
 

Ein Bericht von Volkmar Mühl (DLV-Nationalteamleiter 100 km):
 
Die Europameisterschaften im 100-Kilometer-Lauf entwickeln sich immer mehr zu einem Fortsetzungskrimi. Fehlten der Wittenerin Birgit Schönherr-Hölscher im vergangenen Jahr in Winschote (Niederlande) gerade drei Sekunden zum Titel, so lagen diesmal am vergangenen Wochenende im belgischen Torhout immerhin 38 Sekunden zwischen ihr und der Zweitplatzierten Laurence Fricotteau aus Frankreich. Das Rennen, insbesondere die Phase der letzten 20 Kilometer, verlief dabei beinahe noch dramatischer als 2005.
 
Die 20.000-Einwohner zählende Stadt in Flandern war in diesem Jahr zum zweiten Mal Austragungsort der 100-Kilometer-Europameisterschaft, die wiederum ihre 15. Auflage erlebte. Beim Start um 20 Uhr herrschte am Freitag mit Temperaturen um die 23 Grad bestes Sommerwetter. Für Ultramarathonläufer war dies allerdings eher zu warm, dafür sollten die Temperaturen nach Sonnenuntergang recht schnell läuferfreundlichere 15 bis 16 Grad erreichen.

Südeuropäer von Beginn an in Front
 
Vom Start weg übernahm der Spanier Jose Maria Gonzales mit Kilometerzeiten von 3:45 Minuten das Kommando, hinter ihm bildete sich eine Verfolgergruppe mit allen sechs russischen sowie drei weiteren spanischen Läufern. Auch die im vergangenen Jahr Zweit- und Drittplatzierten, Mario Ardemagni aus Italien sowie der Franzose Pascal Fetizon, gehörten dieser Gruppe an.
 
Bei den Frauen ging die noch amtierende Europameisterin Monica Casiraghi (Italien) stürmisch in Front, die 10-Kilometer-Marke passierte sie in rund 43 Minuten, dahinter kam die Russin Nadezhda Karaseva, ihr folgte eine Fünfergruppe mit drei französischen Läuferinnen, einer weiteren Russin und der Deutschen Meisterin Birgit Schönherr-Hölscher.
 
Die Männerspitze passierte die 50-Kilometer-Marke in drei Stunden und sieben Minuten, was auf eine mögliche Endzeit von 6:20 Stunden hindeutete, bei den Frauen hatte Monica Casiraghi mit 3:50:40 Stunden bereits deutlich an Tempo verloren. Birgit Schönherr-Hölscher ging als Siebte in 3:59:59 Stunden durch.

Typische Probleme beim Nachtlauf
 
In der nun einsetzenden Phase zwischen Kilometer 50 und 60 setzten bei zahlreichen Teilnehmern im Bereich der Spitze ernsthafte Schwierigkeiten ein. Meist handelte es sich um Magenprobleme, der Stoffwechsel passt sich unter Wettkampfbedingungen nicht ohne weiteres an die Nachtzeit an. Manche wurden auch Opfer eines zu hohen Anfangstempos. In der Folge stiegen unter anderem Monica Casiraghi und die beiden bis dahin schnellsten Russinnen ebenso wie Mario Ardemagni (Italien) aus.
 
Auch das deutsche Männerteam, allesamt verhalten in den Wettkampf gestartet, blieb davon nicht verschont: Thomas König (SuL Lößnitz) und Dr. Thomas Miksch (TV Jahn Kempten) wurden zu einer deutlichen Temporeduzierung gezwungen, auch der deutsche Meister Michael Sommer (EK Schwaikheim) hatte mit einigen körperlichen Problemen zu kämpfen, die er aber später wieder in den Griff bekommen sollte.
 
Für Jutta Kolenc (TG Biberach) bedeutete das frühe Auftreten einer eigentlich längst überwundenen alten Fersenverletzung aus dem Vorjahr allerdings das Aus bei Kilometer 40, die übrigen DLV-Frauen arbeiteten sich nun Platz für Platz nach vorne.

Jose Maria Gonzales stark
 
Der Führende Jose Maria Gonzales wurde ebenfalls etwas langsamer, erzielte als Sieger mit 6:23:44 Stunden aber dennoch eine Klassezeit, die gleichzeitig eine neue Jahresweltbestleistung bedeutet. Platz zwei belegte der Weißrusse Dzmitry Bula in ebenfalls herausragenden 6:33:56 Stunden, den Kampf um Platz drei entschied der Franzose Yannick Djouadi mit gleichfalls glänzenden 6:38:19 Stunden gerade einmal drei Sekunden vor seinem Landsmann Pascal Fetizon für sich.
 
Michael Sommer konnte mit einer starken Schlussphase noch einmal Boden gut machen und beendete den Wettkampf als bester Deutscher auf Rang 14 in 7:10:35 Stunden. Nationalteam-Debütant Sven Kersten (SCC Berlin) kam als zweiter Deutscher mit einem taktisch hervorragend eingeteilten Rennen in neuer persönlicher Bestzeit von 7:21:42 Stunden auf Platz 18, Michael Becker (LG Leipzig Grünau) erzielte Platz 25 in 7:31:39 Stunden. Thomas König belegte in 7:47:18 Stunden Platz 30, Dr. Thomas Miksch folgte in 7:50:15 Stunden einen Rang dahinter.
 
In der Mannschaftswertung errang das DLV-Team Platz fünf (22:03:56 h) mit nur 51 Sekunden Rückstand hinter Italien. Der Sieg ging an Spanien (20:00:24 h) vor Frankreich (20:11:58 h) und Russland (20:33:59 h).

Packendes Frauenfinale
 
Bei den Frauen wurde es zur Schlussphase hin hochdramatisch. In den letzten Tagen vor dem Wettkampf hatte im deutschen Team noch große Sorge geherrscht, ob Birgit Schönherr-Hölscher aufgrund eines aktuellen Infekts überhaupt würde an den Start gehen können. Erfreulicherweise klang die leichte Erkältung buchstäblich in letzter Minute ab, stellte aber fraglos ein ernsthaftes Wettkampfhandicap für die Deutsche Meisterin dar.
 
So hatte sie denn auch zwischen Kilometer 30 und 50 in einer vorübergehenden Phase hoher Luftfeuchtigkeit das Tempo etwas herausnehmen müssen. Bei Kilometer 60 aber, durch die Ausstiege in der Spitze nun auf Platz fünf liegend, ging es der Wittenerin wieder besser und sie begann, Tuchfühlung zur Gruppe der Führenden aufzunehmen. Der Abstand verringerte sich zusehends.

Französinnen gehen zu dritt in die letzten 20 Kilometer
 
Bei Kilometer 78 gingen drei Französinnen Schulter an Schulter hinter dem Führungsfahrzeug durch. Birgit Schönherr-Hölscher wiederum wies 2:15 Minuten Rückstand auf die Spitzengruppe auf.
 
Ganze neun Kilometer später bot sich folgendes Bild: Birgit Schönherr-Hölscher war in Front, die Gruppe der drei Französinnen auseinandergerissen. Die Deutsche hatte alles auf eine Karte gesetzt, die Gruppe mit einer deutlichen Tempoverschärfung gesprengt und lag bereits gut 100 Meter vor Laurence Fricotteau.

Birgit Schönherr-Hölscher mit starkem Finish
 
Nachdem sie den Abstand zur Französin zunächst noch weiter ausbauen konnte, legte fünf Kilometer vor Schluss auch Laurence Fricotteau noch einmal deutlich zu und hatte sich gut einen Kilometer vor dem Ziel bereits wieder auf cirka 70 Meter herangearbeitet.
 
„Als ich dies merkte, hatte ich nur noch einen Gedanken: So wie bei der EM 2005 darf es dir heute nicht ergehen“, meinte Birgit Schönherr-Hölscher später im Ziel. Die praktische Umsetzung dieser Überlegung bedeutete die Konsequenz eines langgezogenen Schlussspurts, der ihr am Ende schließlich 38 Sekunden Vorsprung sicherte und den EM-Titel in der Zeit von 7:58:44 Stunden!

DLV-Frauen mit Top-Platzierungen und Team-Silber
 
Auch die übrigen deutschen Frauen lieferten unter den erschwerten Bedingungen eines Nachtlaufs sowie noch mit der erst vor sieben Wochen absolvierten 100-Kilometer-DM in den Beinen bemerkenswerte Ergebnisse ab. Die deutsche Vizemeisterin Marion Braun (SV Germania Eicherscheid) errang Platz sechs in 8:26:04 Stunden, Carmen Hildebrand (SSC Hanau/Rodenbach) folgte in 8:32:12 Stunden auf Platz sieben, Barbara Austermann (LG Ahlen) gelang beim ersten Einsatz für den DLV mit 8:48:58 Stunden bereits ein Rang unter den Top Acht Europas, Simone Stöppler (SSC Hanau/Rodenbach) kam knapp dahinter auf Platz 9 in 8:49:52 Stunden.
 
Damit holte das DLV-Frauenteam mit 24:57:00 Stunden die Silbermedaille in der Mannschaftswertung hinter den französischen Frauen (24:14:37 h), welche in der Einzelwertung die Plätze zwei (Laurence Fricotteau in 7:59:22 Stunden), drei (Christine Lelan in 8:01:54 Stunden) und vier (Magal Reymoneng-Maggali in 8:13:21 Stunden) belegten. Auf Rang drei folgte die Mannschaft von Italien in 27:32:07 Stunden.

Erfolgsfaktor Betreuung
 
Ermöglicht wurden die starken Leistungen der DLV-Ultramarathonläufer/Innen unter anderem durch den Einsatz eines gut besetzten Betreuerteams, welches an allen sechs Verpflegungsstellen auf der 28.670 km-Runde eine optimale Verpflegungsübergabe sicherstellte und auch sonst für alles sorgte, was Ultramarathonläufer/Innen unterwegs benötigen.
 
Wolfgang Braun, Fritz Stöppler, Jochen Kümpel, Heinrich Scholtyssek, Markus Mallmann, Andreas Mästle, Wolfgang Krampert, Frank Müller, Johann Sommer, Angela Becker, David Schönherr und Felix Mühl gaben in diesem Sinne ihr Bestes, um die Läuferinnen und Läufer zufrieden zu stellen.

Weltjahresbestleistung bleibt in Deutschland
 
Erfreulich war aus deutscher Sicht auch, dass die von Birgit Schönherr-Hölscher anlässlich der Deutschen Meisterschaft in Rodenbach aufgestellte Jahresweltbestleistung der Frauen von 7:48:33 Stunden nach Ablauf der ersten Saisonhälfte weiterhin Bestand hat. Deutsche Meisterin, Europameisterin und Weltranglistenerste, Deutschland hat im Ultramarathonlauf eine starke Athletin vorzuweisen.
 

Das deutsche Team für die Europameisterschaften im 100-Kilometer-Lauf





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Autor und Copyright: Volkmar Mühl
Foto: Volkmar Mühl

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