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Comrades 2006 - Laufbericht vom weltgrößten Ultra
 
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26.07.2006 

 

Ein Laufbericht von von Wolfgang Menzel

Fast 100 Marathons und Ultras bin ich auf der ganzen Welt gelaufen. Viele sehr, sehr schöne Läufe waren dabei. Der Comrades im Jahr 2000 und der Two Oceans 2001 in Kapstadt gehörten zu den absoluten Highlights. Insbesondere der Comrades nahm in meiner Erinnerung eine absolute Ausnahmestellung ein. Das Motto war: Wenn Du einen Lauf wiederholen „mußt“ dann den Comrades. 2006 sollte es noch mal so weit sein.
 
Die Vorbereitung für diesen schweren Ultra war alles andere als gut. Aber der Wunsch da zu laufen, hat meine schwache Form überlagert. Durchschnittlich magere 50 km in der Woche betrug mein Pensum. Mehr ließen die Umstände nicht zu. Meistens hatte ich Beine wie Blei. Im März stellte ich beim Königsforstmarathon in 4.50 h einen persönlichen Negativrekord auf dieser Strecke auf. Für die zweite Hälfte brauchte ich 2.40 h. Da kamen mir doch erhebliche Zweifel, das der Comrades noch mal zu packen ist. Ostersonntag lief ich den 50 km Zunft-Kölsch-Lauf von Porz nach Bielstein. In 5.20 h ging das schon etwas besser. Die Strecke habe ich gewählt, weil sie fast ausschließlich über Straßen geht und auch profiliert ist.
 
Zu den Besonderheiten des Laufes gehört, das er jedes Jahr die Richtung wechselt. Dieses Jahr führte er aus der Millionenstadt Durban am Indischen Ozean durch das „land of thousand hills“ nach Pietermaritzburg. Also ein up-run. Bei den down-runs wird in Pietermaritzburg gestartet und Durban ist das Ziel. Am 24.5.1921 wurde der Lauf erstmals ausgetragen, im Gedenken an die im ersten Weltkrieg gefallenen Kriegskameraden (comrades). Gewonnen hat Bill Rowan in 8.59 h; 16 Finisher gab es. Nur unterbrochen vom zweiten Weltkrieg fand dieses Jahr schon die 81. Austragung statt. Auf 87,5 km sind insgesamt 45 Steigungen und knapp 1.800 Höhenmeter zu bewältigen. Die Strecke führt ausschließlich über Straßen und nur selten spenden Bäume Schatten. Der Juni ist in Kwa Zulu Natal mit theoretisch einem Regentag der regenärmste Monat. Noch nie sind mir ältere Comrades-Bilder mit schlechtem Wetter aufgefallen. Auch dieses Jahr war es trocken und strahlend blauer Himmel.
Nach dem Jubiläumsjahr 2000 (75. Austragung,24000 Starter,20000 Finisher!!!! wohlgemerkt wir reden von einem Ultra!) haben sich die Teilnehmerzahlen bei den up-runs bei 12.000 eingependelt, davon 2000 Frauen in diesem Jahr. Bei den down-runs in den ungeraden Jahren nehmen noch mal 2-3000 Sportler mehr teil. Lediglich 22 Deutsche nahmen den 11 ½ stündigen Flug über Johannesburg nach Durban in Angriff. Fast alle flogen mit SAA Montagabend von Ffm. Beim Flug von Jo’berg nach Durban wurde die Anzahl der Comrades-Teilnehmer schnell wesentlich größer. So sass neben uns, Nick Bester, Comrades Gewinner von 1991, der dieses Jahr verantwortlicher Manager für das Team von Harmony Gold war. Alle 22 gestarteten Deutschen erreichten auch das Ziel. Hinzu kommt noch eine überschaubare Zahl an Deutschen, die schon seit Jahrzehnten in Südafrika leben und arbeiten und für ihre südafrikanischen Leichtathletikclubs oder Betriebssportmannschaften laufen.
Wer bekommt welche Medaillen beim Comrades ? Goldmedaillen gibt es für die jeweils ersten 10 Frauen und Männer. Silber für alle Läufer unter 7 ½ Stunden. Für eine Zeit zwischen 7 ½ - 9 Stunden gibt es die Bill Rowan Medaille, die zur Hälfte aus Silber und Bronze besteht. Bronze erhalten die Läufer zwischen 9 und 11 Stunden. Letztlich erhalten die Läufer, die in der letzten Stunde finishen, die Vic Clapham Medaille, die aus Kupfer besteht. Vic Clapham wird als Erfinder des Comrades bezeichnet. Dieses Jahr waren es über 2.600 Läufer die zwischen 11 und 12 Stunden brauchten.
Unser Quartier hatten wir an der Golden Mile am Indischen Ozean, im Holiday Inn. Dienstagnachmittag gingen wir direkt zur Marathonmesse um uns die Startunterlagen abzuholen. Für die ca. 300 Internationals gibt es einen extra Eincheck-Schalter. Dort wurden wir liebevoll betreut und es konnten noch Fehleinstufungen in den Startboxen korrigiert werden. So hatte man unseren stärksten Mann – Andreas Seeger – irrtümlich aus der Startgruppe F starten lassen wollen. Das konnte aber noch in die Gruppe A geändert werden. Am ersten Messetag waren noch nicht alle Messestände aufgebaut, so das es noch recht ruhig dort zuging. Jedoch haben sich einige aus unserer Gruppe das Comrades-Tattoo nicht entgehen lassen. Neben den Internationals gibt es noch eine Läufergruppe „Rest of Africa“.
Mittwoch war für die Novizen Streckenbesichtigung und Visite im Comrades-Museum in Pietermaritzburg angesagt, unter fachkundiger Leitung des 14-maligen Comrades-Finishers und offiziellem Comrades-Botschafters Klaus Neumann. Ich persönlich habe zu Fuß u.a. die West Street mit dem Startgelände inspiziert. Die West Street ist 6-spurig und nimmt die große Läuferschar gut auf. Am Donnerstag stand relaxen und eine Stadtrundfahrt auf dem Programm. In unserer 9-köpfigen Reisegruppe von Werner Otto Sportreisen in Brühl herrschte die ganze Zeit eine Superstimmung. Werner Otto und Andrea Seeger feuerten uns an. Neben meiner Wenigkeit waren dabei: die Altenburger Kanuten Frank Karsupke und Karsten Sichel, Martina Christ und Matthias Pauer,Heinz Gollner und Andreas Seeger.
Donnerstagabend trafen wir uns im Domizil der Michael-Schläbitz-Truppe, im Balmorel, um den morgigen Lauftag zu besprechen und Pasta zu essen. Michael hatte einen Bus organisiert, der für Gepäcktransport, für unsere Schlachtenbummler und für die Rückfahrt zur Verfügung stand. In seiner Reisegruppe befanden sich 9 Läufer, so das sich in diesen beiden Reisegruppen schon über ¾ aller dt. Läufer wiederfanden.
Der Comrades findet immer am „youth day“ statt, der dieses Jahr auf einen Freitag fiel. Es ist ein nationaler Feiertag anlässlich des Schüleraufstandes in Soweto, der sich zum 30. Mal jährte. 5.30 Uhr ist Start, 3 Uhr klingelt der Wecker. Beim Frühstück in unserem Hotel treffen wir Hunderte anderer Läufer. Bevor es zum Start geht, machen wir noch einen kleinen Schlenker zum Balmorel, wo der Bus auf unser Gepäck wartet.
Da es nur 1 ½ km zum Start sind verzichten wir auf die Busfahrt und gehen zu Fuß. Auf dem Weg zum Start wünscht uns sogar das horizontale Gewerbe einen guten Lauf. Schon bald kommen wir an die erste Absperrung, wo nur Läufer durchgelassen werden. Diese weiträumige Absperrung verschafft den Läufer einen stressfreien Aufenthalt im Startbereich trotz der großer Starterzahlen. Der ganze Startprozeß und der Aufenthalt im Startblock ist beim Comrades schon ein besonderes Erlebnis. 5.15 Uhr muß man in einem zugewiesenen Startblocks A – H sein. Wer diesen Zeitpunkt verpasst, darf von ganz hinten starten. Die Mitglieder des Green-Number-Clubs haben einen Extra-Startblock in der Mitte. Voraussetzung für den Club ist, das man den Comrades mindestens 10 x in der Sollzeit geschafft hat. Bei 20 x gibt es eine double-green-number und bei 30 x eine triple-green-number.
Versuche sich von einem hinteren Startblock in einen vorderen zu „pfuschen“ sind nahezu zwecklos, da die Offiziellen sehr aufmerksam sind. Ich persönlich gehe in Startblock C, wo ich sehr gut zu einem der mächtigen Lautsprecher stehe und die laute und gute Musik geniessen kann. Den vorsichtshalber mitgebrachten Müllsack brauche ich nicht, da es mit ca. 16 Grad schon recht mild ist. Der Speaker stellt einige Favoriten vor und erwähnt die teilnehmerstärksten ausländischen Nationen. Insgesamt erzeugt der Speaker eine spannende Dramaturgie, in der er den Startern klar macht, das sie am „greatest road race on earth“ teilnehmen. Die Läuferhymne „chariots of fire“ sorgt für weiteres Gänsehautfeeling. Am bewegensten ist jedoch, wenn von den schwarzen Läufern mehrmals „shosholoza“ angestimmt wird, was soviel bedeutet wie vorwärts/voran. Wie auch im Ziel kommen mir die Tränen.
Der ganze Startbereich an der City Hall ist ausgeleuchtet. Aus den Lautsprechern dringt jetzt das traditonelle Hahnengeschrei; sicheres Zeichen, das es bis zum Startschuß nicht mehr lange ist. Wie ein Donnerhall knallt es dann exakt um 5.30 Uhr und 2 Sekunden. Dies erkenne ich erst am PC, der uns im „International Zelt“ am Ziel zur Verfügung steht. Dort ist zu sehen, das der Abschuss des Rennen für 17.30 Uhr und 2 Sekunden vorgesehen ist. Beim Comrades lässt man den Läufern genau 12 Stunden Zeit. Auf die Sekunde. Nachwievor gilt die Regel „gun to gun“, d.h. das die Zeit für jeden Läufer mit dem Startschuss tickt und nicht erst wenn er die Startlinie überläuft.
Ich benötige eine knappe Minute bis ich über die Startlinie bin. In 6-7 Minuten sind auch die letzten Läufer über die Startmatte. Trotz Dunkelheit werden wir am Start und auch auf den ersten Kilometern von regelrechten Zuschauermassen angefeuert. Viele Zuschauer gibt es über fast die gesamte Strecke. Nur selten finden sich Abschnitte in dünner besiedelten Landstrichen, wo keine Zuschauer an der Strecke sind.
Auf dem ersten Kilometer muß man wegen der großen Läuferdichte aufpassen, das einem niemand in die Hacken tritt. Sobald der 1 km geschafft ist, kann man aber mehr oder weniger frei laufen. Aufgrund des großen Feldes befindet man sich über das ganze Rennen in Läuferpulks und hat immer Gesellschaft von anderen Läufern. Das man mal – wie beim Bieler 100er – allein auf weiter Flur ist, ist beim Comrades vollkommen undenkbar. Die Brücken, die wir beim Herauslaufen unterqueren, sind voll von Menschen. Über breite Zubringerstraßen finden wir den Weg aus der Stadt. Wir passieren den botanischen Garten, den wir gestern schon im Hellen bei unserer Stadtrundfahrt besuchten. Schon bald sind wir in der ersten Villengegend, in einem Vorort von Durban. Die Villen sind hoch umzäunt und die Sicherheitsfirmen haben Ihre Schilder deutlich sichtbar an den Häusern angebracht. Gegen 6.30 Uhr wird es hell und es beginnt auch das Grillen (südafrikanisch: braii) eben vor den Villen. Es ist nicht übertrieben, wenn man den Comrades als ein einziges Barbeceu bezeichnet. Ich hätte an der Strecke statt Schokoriegel und Obst auch Zehntausende von Bratwürsten essen können. Nach 14 km erreichen wir Cowies Hill, den 1. der Big Five. Die Big Five stehen hier aber nicht für Elefant, Leopard, Nashorn, Büffel und Löwe, sondern meinen die 5 kräftigsten Anstiege. Cowies Hill hat über 1,5 km 137 Höhenmeter. Da die Läufer noch frisch sind, merkt man den kaum. Angezeigt wird den Läufern übrigens immer die Km, die noch zu laufen sind.
Bei Km 22 kommt der 2. der BigFive. Fields Hill. Er liegt auf Pinetown’s alter Hauptstraße und hat 213 Hm auf 3 Km. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Dinge, die da noch kommen. Nach Fields Hill geht es wieder runter und wir kommen über Kloof nach Winston Park. Hier ist der erste von insgesamt fünf „cut offs“. Wer um 10.30 Uhr nicht dort ist, wird aus dem Rennen genommen. 59 km haben die Läufer noch vor sich.
Bevor wir den 3. der Big Five erreichen, treffen wir auf unsere Schlachtenbummler. Für Sie ist es gar nicht so einfach, einen geeigneten Platz zum Heranfahren mit dem Bus an die Strecke auszuwählen. Sie wollen natürlich möglichst alle Läufer aus den beiden Reisegruppen sehen. Andererseits wollen Sie auch so rechtzeitig im Ziel sein, das sie den Einlauf des Siegers mitbekommen.
Nach dem flachen Hillcresst kommt bei km 37 Botha’s Hill, der 3. der Big Five, 722 müM. 150 Hm auf 2,4 km. Botha’s Hill zu erklimmen, heißt auch am Kearnsey College vorbeizukommen. Es wird nur von Jungen besucht. Schick sehen sie aus in ihren Schuluniformen. Seit Jahrzehnten schon bilden sie hier eine Verpflegungsstation und feuern die Läufer enthusiastisch an. Die Zuschauer stehen fast so eng, wie auf einer Tour-Etappe nach Alpe d’Huez. Das Motto der Schule ist „carpe diem“.
Es dauert nicht lange, da liegt rechts am Straßenrand die „wall of honour“. Im Hang sind in Betonsteine Plaketten gefasst, wo sämtliche Comrades-Sieger verewigt sind. Auch meine Vereinschefin, Birgit Lennartz, die 1999 das down-race gewann. Von hier aus hat man eine phantastische Aussicht über das „Valley of 1000 Hills“. Wenige hundert Meter weiter auf der linken Seite kommen wir zu Arthur’s Seat, in Erinnerung an Arthur Newton, der in den 20er Jahren 5 mal den Comrades gewann. Die Legende besagt, das sich Newton in einer Felsnische immer ein kleines Päuschen gönnte. Weiterhin besagt die Legende, das man für die 2. Rennhälfte auf eine tolle Performance hoffen darf, wenn man „den Hut vor ihm zieht“, eine Blume auf dem Sitz hinterlegt und „good morning Sir“ sagt.
Danach geht es steil runter nach Drummond. Die Hälfte ist geschafft. Hier ist der 2. cut-off. 11.30 Uhr müssen die Läufer durch sein. Auch hier steht ein Offizieller mitten auf der Straße, der das Rennen für die zu spät kommenden Läufer „abschießt“. Es spielen sich ähnliche Dramen ab, wie im Ziel. Es gibt wirklich Läufer, die eine Sekunde zu spät sind und nicht weiter laufen dürfen. Sorry, that are the rules. Knallhart.
Meine Uhr weist in Drummond ca. 5 Std. Laufzeit aus. Für die zweite Hälfte bleibt also ausreichend Zeit um vor dem Zielschluß da zu sein. Der 4. der Big Five lässt nicht lange auf sich warten. Bei km 45 beginnt Inchanga. 150 hm auf 2 ½ km sind für sich genommen nicht viel. Da es insgesamt aber schon ca. der 25. Anstieg ist, erscheint einem Inchanga als wahres Monster von Berg. Nicht nur ich gehe Teile des Berges. Das gibt Gelegenheit zu vielen netten Gesprächen mit anderen Läufern. Ohnehin sind die „Overseas Runners“ hier Exoten und an Ihrer andersfarbigen Start-Nr. gut zu erkennen. Dieses Erlebnis durfte ich auch schon vor 6 Jahren machen, das man wegen blauen Start-Nr. häufig angesprochen wurde. Beim Comrades wird nicht nur vorne eine Start-Nr. getragen, sondern auch auf dem Rücken. Dort ist abzulesen: die Anzahl Comrades, welche Medaillen der Läufer schon gewonnen und von welcher Sorte. Bei mir stand bei Runs und bei Bronze jeweils eine „1“. Außerdem war das Alter aufgedruckt und Germany. Dies führte dazu, das ich bestimmt 10 x gefragt wurde, ob Deutschland denn Fußball-Weltmeister würde, was ich jedoch verneinte und auf Brasilien tippte. Auch falsch, wie sich später rausstellte.
Unmittelbar nach Inchanga ist „Amanzondi Store and Bakery“. Die Helfer an der Verpflegungsstelle sind alle in ihrer weißen Kochkluft angetreten incl. Mütze. Das gibt ein schönes Bild, da es über 30 Köche sind.
Die nächsten Kilometer bezeichnen die Südafrikaner als die „flats“. Gemeint ist Harrison Flats. Wer glaubt, das ständige auf und ab hätte ein Ende, der irrt. Hier spricht mich Stefan an; er arbeitet an einer Johannesburger Universität und trägt eine gelbe Start-Nr. Er erklärt, das gelb quasi die unmittelbare Vorstufe für eine green number ist. D.h. er hat bereits 9 x erfolgreich teilgenommen und im Ziel ist er dann Mitglied des green-number-clubs. Er erhält dann eine „permanent number“, die sich für den Rest seines (Comrades)-Lebens nicht mehr verändert. Mit den Städtchen Cato Ridge und Camperdown kommen zwei weitere Zuschauerschwerpunkte. In Cato Ridge sind es noch 31 km to go. Hier ist auch der dritte „cut off“ um 14.30 Uhr, nach 9 Stunden Laufzeit. In dieser Gegend liegt die Ethembeni School, wo behinderte Kinder lernen und leben. Sie versorgen uns mit Getränken und wir bedanken uns durch Abklatschen. Ich sehe Albinos und Kinder mit Behinderungen, da bleibt mir die Spucke weg. Ich denke mir : Mein Gott, was geht es uns Läufern doch gut; wir können laufen.
Nach Camperdown kommt schon die 35. Verpflegungsstation von insgesamt 50 ! Jede Station ist komfortabel bestückt und vor Ihnen befinden sich immer 3 riesige Wasserbottiche, die ich mittlerweile wegen der Hitze zum Kopf kühlen nutze und zum Tränken der Mütze, die ich zum Schutz doch aufsetze. Trinken, trinken, trinken ist oberstes Gebot. Und das wird – wie üblich in Südafrika – sehr erleichtert durch praktische 150ml-Beutel Wasser und verschiedene Sorten Energades. Sie lassen sich mit den Zähnen sehr leicht aufreißen und man drückt die Flüssigkeit dann in den Mund und verliert keinen ml. Viel praktischer wie unsere hiesigen Becher. Es ist uns allen ein Rätsel, warum sich diese Beutel nicht bei den europäischen Großveranstaltungen wieder finden. Wem die Beutel zu kühl sind, hält sie einfach eine Weile in der Hand und schon sind sie trinkbar. Je nach Streckenprofil sieht man manchmal schon den nächsten Verpflegungsstand, obwohl gerade erst der letzte verlassen wurde. Auch das trägt zur Motivation bei. Wie die unendlichen Zuschauer, die einfach mit Ihrem Wagen an die Strecke ran fahren. Alle Türen aufreißen und die Musik laut drehen und was machen?......... grillen !
Nicht nur wegen der vielen Zuschauer hat man Abwechslung, sondern auch wegen der vielen Kurven. Ständig schlängelt und windet sich die alte Landstraße. Selten, das man langweilige gerade Abschnitte da. Schon lange habe ich die Taktik der wirklich armen, schwarzen Kinder bemerkt, die sich geschickt immer hinter den Verpflegungsständen aufbauen. Sie warten darauf, das für sie von der Läuferverpflegung etwas abfällt. Ich bestücke mich statt mit einem Schokoriegel, also mit 3 Stück und verteile die nicht von mir benötigten auf die Kinder. Auch ein Becher Cola ist für die Kinder Luxus. Sie danken es den Läufern mit einem strahlendem Lächeln.
Wir nähern uns langsam dem höchsten Punkt der Strecke, Umlaas Road auf 870 hm. Von hier aus sind es noch ca. 19 km bis Pietermaritzburg. Hier ist kein „besonderer“ Berg – die meisten Läufer bemerken diesen höchsten Punkt gar nicht. Die Stelle ist nicht speziell gekennzeichnet. In der Nähe befindet sich ein großer Wasserturm. Hier ist auch der vorletzte cut-off um 15.30 Uhr. Durch Lion Park geht es weiter nach Ashburton, wo einer der Punkte ist, wo sich die autorisierten Fotografen zum Foto-shooting postiert haben. Alle Läufer konnten Ihre Start-Nr. so kenntlich machen, ob sie geknipst werden wollten oder nicht. 10 km to go. Vor den Läufern liegt aber noch der 5. der Big Five. Schon vor 6 Jahren dachte ich: das zieht Dir ja die Socken aus. Zunächst kommen aber die sog. little pollies. Viele verwechseln diese Hügel mit den wahren „Polly Shorts“. Diese haben zwar nur gut 100 hm auf 1,8 km. Ich gebe zu bedenken, das die Läufer hier fast zwei Standard-Marathons in den Beinen haben. Und das bei Temperaturen bis zu 30 Grad und unzähligen Steigungen und Abwärtspassagen, was vielen noch unangenehmer ist. Die Oberschenkel brennen. Auf der Spitze der Polly Shorts ist auch der letzte cut-off um 16.50 Uhr. Wer den gepackt hat, besitzt gute Chancen ein Comrades-Heroe zu werden. 40 Minuten bleiben für die letzten 8 km.
Bis auf einen kleinen Gegenanstieg war’s das endlich mit den Steigungen. Nachdem Polly Shorts hinter mir liegt, bin ich am rechnen, ob es noch für eine Zeit unter 11 Stunden reicht (der „alten“ Sollzeit). Ich frage einen Südafrikaner und der meint: easy. Ich bin mir da noch nicht so sicher. Deswegen frage 1-2 km weiter erneut eine Gruppe, die hier jeden Meter des Schlußstücks kennen. Hier bekomme ich den Spirit des Comrades und die Kameradschaft direkt zu spüren. Denn die Gruppe antwortet: Komm wir nehmen Dich mit und führen Dich unter die „11“. Die letzten km sind wirklich gut zu laufen; es geht ständig leicht bergab auf die Zielhöhe von 650m. Ca. 2 km vor dem Schluß beginnen die Absperrungen, die einen das Ziel erahnen lassen. Es ist nicht wie bei meinem 1. Comrades im Scottsville Race Course, sondern im Oval Cricket Grounds in Nachbarschaft zu einem Rugby Stadium. Kurz bevor es rechts in das Oval abgeht, laufe ich direkt auf den ersten Speaker zu, der die Läufer begrüßt und froh ist mal wieder einen Teilnehmer aus Germany zu sehen. Well done, Wolfgang. Well done. Auf den letzten Metern vernehme ich aus den Lautsprechern zum zweiten Mal, Wolfgang Menzel from Germany. Das erfüllt mich doch mit großem Stolz. Vor dem Zieleinlauf liegt links das extra für die Internationals hergerichtete Zelt, wo mir die deutschen Mitläufer zujubeln, die sich schon längst über das kalt-warme Buffet hergemacht haben.
Ich bin in der glücklichen Lage Vergleiche zum Jahr 2000 ziehen zu können. Der Genuß des Zieleinlaufs, das Laufen über den mit bunter Werbung bemalten Rasenteppich, die Begeisterung des Publikums und die einzigartige Atmosphäre sind wie beim 1. Mal, einfach geil. Mit 10.48 h belege ich Platz 6465 von 12000 Startern. Obwohl ich 1 ½ Stunden langsamer bin wie vor sechs Jahren, bin ich angesichts meiner Vorbereitung und der dieses Jahr gezeigten Leistungen höchst zufrieden. Mein bester Lauftag in 2006.
Tags drauf sind alle Zeiten des gesamten Läuferfeldes im „The Independent“ nachzulesen. Neben Name, Zeit, Platzierung und Start-Nr. ist die Anzahl der erfolgreich absolvierten Comrades’ aufgeführt. Da steht bei mir jetzt schon eine „2“. Die Zeitung ist recht ergiebig, was spektakuläre Fotos anbetrifft. Auf der Titelseite kriecht Farwa Mentoor „auf allen Vieren“ über den Rasen ins Ziel. Als beste Südafrikanerin ist sie 6. bei den Frauen. Sie hat offensichtlich zu wenig getrunken. Die Ärzte brauchen mehrere Stunden, um sie im Medizinzelt zu stabilisieren.
Auch ist ein Bild in der Zeitung, wo der 1. Läufer zu sehen ist, der die 12 Stunden um eine einzige Sekunde verpasst hat. Er liegt vollkommen erschöpft kurz vor der Zielmatte und wird nicht als Finisher gewertet. Leider keine Medaille ! Diese Bilder von Läufern, die versuchen mit letzter Kraft über die Ziellinie zu hechten und Bilder, wo Läufer Ihre Kameraden im wahrsten Sinne des Wortes über die Linie schleppen und tragen, verfestigen die Legende vom Comrades noch weiter. Genauso wie die Sieger wird die Läuferin abgebildet und mit einem extra großen Blumenstrauß geehrt, die es als letzte in genau 12.00.00 Std. geschafft hat. Sie ist jetzt ein Comrades-Finisher und das zählt was in Südafrika. Exakt 9838 LäuferInnen haben es gepackt. Ca. 2000 scheiterten. Es ist jetzt 17.30 Uhr und wird stockduster.
Auch an den Preisgeldern lässt sich die Bedeutung des Rennens ablesen. Elena Nurgalieva – Siegerin bei den Frauen in 6:09:24 – geht mit insgesamt 1.44 Mio. Rand nach Hause (ca. 180.000 €). Die Summe setzt sich aus Preisgeld, Streckenrekordprämie, einer 100 Unzen-Gold-Statue und Geldern des Sponsors zusammen. Kein Wunder, das die Summen die Weltelite der Ultras anlocken. Bei den Männern siegt der Russe Oleg Kharitonov in 5:35:19, was 700.000 Rand Preisgeld ausmacht. Der Up-run-Streckenrekord seines Landsmannes Kotov (Bronze im Marathon bei der Olympiade in Moskau) aus dem Jahr 2000 (5:25:33)bleibt unangetastet. Kotov – den ich auch im Marathon durch die Taroko-Schlucht 2004 traf – hatte die drei letzten Up-runs 2000, 2002 und 2004 gewonnen. Er wird dieses Jahr 3. vor einem weiteren Russen, Gregory Murzin. Auch bei den Frauen belegen die Russinen noch die Plätze 2,3 und 5. Die russischen Läufer betrachten den Comrades als ihre cash-cow. Vierte wird die deutsche Maria Bak, dreimalige Comrades-Siegerin, was ihr in Südafrika natürlich einen sehr hohen Bekanntschaftsgrad verschafft hat.
Tumultartige Szenen haben sich im Zielbereich abgespielt, als der zweite Mann einlief, der in Kwa Zulu Natal geborene Brian Zondi. Den Jungen hatte fĂĽr die Top Ten niemand auf der Rechnung. Es war seiner erster Lauf oberhalb der Marathondistanz und groĂźe Ahnung vom Streckenverlauf hatte er auch nicht. Ebensowenig war er sich ĂĽber die hohen Preisgelder nicht im Klaren. Solche Geschichten schreibt der Comrades auch. Seine Familie hat jetzt ausgesorgt. Obwohl nur Zweiter, hat er Kharitonov die Show gestohlen.
In der Zeitung ist auch ein Läufer (green number) abgebildet, den ich unterwegs häufig im Blick hatte. Die ganze Strecke lief er im Anzug. Als wenn es nicht schon so heiß genug gewesen wäre. Des weiteren sind die Läufer mit dem abenteuerlichsten Kopfschmuck zu sehen. Alles mögliche Getiers wird durch die Gegend getragen.
 
Bester deutscher männlicher Teilnehmer ist „unser“ Andreas Seeger aus Mülheim/Ruhr. Mit 7:26:55 schafft er die erträumte Silbermedaille. Auch alle anderen Teilnehmer unserer Reisegruppe sind begeistert von Ihrem ersten Comrades und mit Ihren Zeiten sehr zufrieden.
Was gibt es sonst noch anzumerken ? Der Bedeutung entsprechend, wird der Lauf 12 Stunden live im Fernsehen übertragen. Das Startgeld beläuft sich für die Ausländer auf 150 US $. Alle Afrikaner zahlen 150 Rand (ca. 19 €). Die down-run Rekord hält bei den Männern seit 20 Jahren Bruce Fordyce in 5:24:07 und Frith van der Merwe bei den Frauen mit 5:54:43 aus 1989. Den nächsten 3 Comradestermine wurden wie folgt festgelegt: jeweils Sonntag, 17.6.2007; 15.6.2008 und 14.6.2009 – also nicht mehr am youth day. Für das Jahr der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika hat sich die cma (comrades marathon association) noch nicht festgelegt. Der Comrades hatte bis 1999 11 Stunden Sollzeit. Anläßlich des Jubiläums wurde diese Sollzeit 2000 zunächst einmalig auf 12 Stunden ausgedehnt, um dann 2001 ff. wieder bei 11 Std. zu sein. Mittlerweile ist die Sollzeit generell bei 12 Stunden. Erwähnen möchte ich auch noch ein paar Zahlen aus dem Jahr 2000 weil sie für einen Ultra unvorstellbar hoch sind. In der letzten Stunde finishten ca. 6000 Läufer, alleine in den letzten 6 Minuten 1.600 !!!!
Es gibt unzählige Anekdoten zu diesem Lauf, die berichtenswürdig wären, was allerdings den Rahmen dieses Berichtes vollends sprengen würde. Eine möchte ich noch erwähnen. Ein deutscher Marathonrekordjäger dessen Bilanz vor einigen Jahren schon bei 999 absolvierten Marathons stand, musste sich in einem Gespräch mit einem Südafrikaner in etwa folgendes anhören: I’ve 999 marathons – Fragt der Südafrikaner: Did you run comrades. Antwort: no Woraufhin der Südafrikaner entgegnete: then you’ve nothing.
Die Ergebnisse aller deutschen Teilnehmer finden sich auf www.comrades.com , dann results, danach bei club: germany anklicken.
Der Comrades wird mich sicherlich wieder sehen. Wahrscheinlich schon zum nächsten Up-run 2008, auch wenn dieser Termin mit dem 50. Bieler kollidiert. Spätestens jedoch 2010, wenn in Südafrika die Fußball-WM ausgetragen wird.
Der Comrades: Ein Mythos ? Eine Legende ? Ein Super-Ultra ? Alles richtig !!!!
 
Samstag fuhren wir mit unserer 9-köpfigen Reisegruppe weiter nach Port Edward. Relaxen am Strand und whale watching ist angesagt. Danach ging’s noch ein paar Tage in den Golden Gate Nationalpark in die Drakensberge. Hier rettet uns unser Chefveterinär Frank Karsupke das Leben, in dem er uns vor den tödlichen Bissen einer hochgiftigen, schwangeren Puffotter bewahrt. Well done, Frank. Nach diesem Trip geht es nach Johannesburg zurück. Nach einer Übernachtung in einem Hotel in der Nähe des Flughafens verlassen uns das Ehepaar Seeger und unsere beiden Ossis (sie wollten so genannt werden) Frank und Karsten gen Heimat. Zunächst heißt es aber an unserem Kleinbus morgens: Scheiben kratzen. In der Nacht kann es durchaus Frost geben. Es ist Winter und Jo’berg liegt fast 1.800 m hoch.
Für Heinz Gollner, Matthias und Martina und mich ist der Urlaub aber noch lange nicht zu Ende. Unter fachkundiger Reiseleitung von Werner Otto fliegen wir zu den Viktoria Fällen mit Unterkunft in Viktoria Falls/Zimbabwe. Die Rundreise führt uns außerdem noch nach Sambia, Namibia und Botswana, wo wir im Chobe River Nationalpark ereignisreiche Safaris erleben dürfen.
 
Fazit: Ein toller Urlaub und ein noch schönerer Lauf liegt hinter mir. Jedem Ultraläufer empfehle ich auch mal den Comrades zu laufen. Ein höchst emotionales Lauferlebnis ist garantiert. Als Qualifikation verlangt die CMA eine Marathonzeit von 5 Stunden. Nicht sonderlich schwierig. Wer die Zeit stehen hat, kann und sollte es mal versuchen.
 





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Autor und Copyright: Wolfgang Menzel