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Zu Beginn dieses Artikels muss ein
Geständnis stehen. Der Verfasser räumt ein, dass auch er wieder viele
Fernsehübertragungen von der Tour de France gesehen hat. Nicht genug damit. Auch
die Weltmeisterschaften der Leichtathleten waren Teil seines passiven
Sportprogramms. Ein Sportinteressierter und praktizierender Breitensportler ist
ohnehin immer aktiv dabei.
Schließlich ist die
spannungsgeladene Verdichtung eines hochleistungssportlichen Wettkampfs in einen
scheinbar einzigartigen und unwiederbringlichen Augenblick von derart
großartiger Faszination und Emotionalität, dass selbst für viele streng
rationale Sportsfreunde die so notwendigen Antworten auf die quälenden Fragen,
warum beispielsweise ein unter schwer wiegendem Dopingverdacht stehender Fahrer
die Tour gewinnen darf oder wie die schnellsten Frauen und Männer der Welt mit
überhöhter Geschwindigkeit in rund 40 Schritten die 100 Meter der Tartanbahn mit
durcheilen können, zunächst einmal irrelevant erscheinen. Dabei wird das Gefühl,
zumal in sporthistorischen Momenten, eben mittendrin und nicht nur dabei zu
sein, noch durch die aufwendigen technischen Möglichkeiten der medialen
Übertragungen verstärkt. Selbst der Reporter des ZDF ließ sich nach dem
100-Meter-Lauf des Jamaikaners Usain Bolt von der allgemeinen Selbstbesoffenheit
mitreißen und fragte rhetorisch, wen in diesem Moment eigentlich interessiert,
wie dieser unglaubliche Weltrekord wohl zustande gekommen sein mag.
Genau hier aber beginnen jene
Kernfragen, die das Selbstverständnis des Spitzensports im Besonderen, aber auch
des Sports im Allgemeinen in seiner Vitalität berühren: Dürfen wir glauben, was
wir sehen? Können wir bestimmte Leistungen ohne Weiteres als die Früchte eines
harten Trainingsprogramms identifizieren? Kann eine sportliche Leistung
tatsächlich so sein, wie sie eigentlich nicht sein kann? Wollen und sollen wir
das glauben? Dass diese Fragen in den letzten Jahren immer unerbittlicher
gestellt wurden, hat sich der Spitzensport selbst zuzuschreiben. Die vielfach
auffallenden Lücken im weiten Zuschauerrund des Berliner Olympiastadions mögen
auch als Indiz dafür gewertet werden können, dass die Distanz zwischen
Spitzensportlern und ihrem Publikum mittlerweile so gewachsen ist, dass viele
Sportbegeisterte eben nicht mehr bereit sind, die allgemeine
Glaubwürdigkeitskrise des Spitzensports mit dem Kauf teurer Eintrittsbillets zu
unterstützen.
Soll sich der leistungs- und
hochleistungsorientierte Sport aber nicht noch weiter von seinem Wert und Sinn
verabschieden, müssen die bohrenden Fragen nach der Glaubwürdigkeit sportlicher
Leistungen und Trainingsmethoden immer wieder von Neuem gestellt werden - gerade
weil es eben derzeit keine befriedigenden Antworten darauf gibt und die so
notwendige Selbstreinigung des Sports, zumal bestimmter Kernsportarten, im
Einzelnen nur unzureichend oder gar nicht stattfindet. Die spontane Freude über
die aktive oder innere Teilnahme an einer der schönsten Nebensachen der Welt
wird von der Schere im Hinterkopf abgeschnitten. Natürlich: Den Einsatz
unerlaubter Mittel hat und wird es immer wieder geben. Die zur inoffiziellen
Leistungsschau der Pharmaindustrie verkommene Tour de France oder die
unappetitlichen Methoden der Jahre lang ach so unverdächtigen Reiter sind nur
besonders prominente Beispiele für die Fülle von Unfairness und Sportbetrug, wie
es sie wohl schon in der Antike gegeben hat. Dass sich die - vorerst vorläufige
- Siegerin des 800-Meter-Laufs der Frauen eingehender Untersuchungen zur
eindeutigen Identifizierung ihrer unverwechselbaren Weiblichkeit unterziehen
lassen muss, mag da noch als pikante Skurrilität schubladisiert werden können.
Gleichwohl: Umso wichtiger ist
es, die in den vergangenen Jahren so sehr erschütterte Überzeugung von den
Grundwerten des Sports sowie den mittlerweile zur Hoffnung degradierten Glauben,
dass sich die immer noch weit überwiegende Mehrheit der Sportler eben zu diesen
bekennt, wiederherzustellen und den Sport aus seiner Sinnkrise zu führen. Die
Bereitschaft zu diszipliniertem Training und gesundem Leistungswillen, der
ehrliche Umgang miteinander, der faire und saubere Wettkampf um das beste
Ergebnis, die Akzeptanz eines verbindlichen Regelwerks sowie persönliches
Engagement bis hin zur Vorbildfunktion sind konstitutive Werte eines sportlichen
Selbstverständnisses, an denen sich auch eine Gesellschaft orientiert und mit
denen sie eben - freilich unter weiteren Wertmaßstäben - zu einem hohem Maß
zusammengehalten wird. Darin liegt die gesellschaftliche Bedeutung und
Verantwortung des Sports mit seinen vielfältigen sozialen, integrativen und
kommunikativen Potenzialen.
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Autor und Copyright: Constantin Graf von Hoensbroech für Laufen-in-Koeln
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