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Sportethik tut Not! |
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Prof. Dr. Claudia Wiesemann |
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Prof. Dr. Claudia Wiesemann,
Medizinethikerin an der Universitätsmedizin Göttingen, zu den Verdachtsmomenten
gegenüber der Siegerin des 800-m-Laufs der Frauen, Caster Semenya, bei der
Leichtathletik-WM in Berlin
ZU DEN VERMUTUNGEN DES LEICHTATHLETIK-WELTVERBANDES (IAAF) GEGENÜBER CASTER
SEMENYA, SIEGERIN DES 800-M-LAUFS DER FRAUEN BEI DER LEICHTATHLETIK-WM IN BERLIN
NIMMT DIE DIREKTORIN DER ABT. ETHIK UND GESCHICHTE DER MEDIZIN,
UNIVERSITÄTSMEDIZIN GÖTTINGEN, FOLGENDERMAßEN STELLUNG:
"Frau oder Mann?" Der
Leichtathletik-Weltverband (IAAF) streut Gerüchte, die Siegerin des 800-m-Laufs
der Frauen, Caster Semenya, bei der Leichtathletik-WM in Berlin "sei vielleicht
gar keine Frau", sie "sei vielleicht ein Mann". Damit ruiniert der Verband
leichtfertig ein Sportlerleben. Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) darf nicht
leichtfertig Leben und Leistung von Caster Semenya, Siegerin des 800-m-Laufs der
Frauen, zerstören!
Die öffentliche Reaktion ist:
Ein "Geschlechtstest" muss her. Es müsse doch einfach sein, festzustellen, wer
ein Mann und wer ein Frau ist! Die IAAF schürt diese Vorstellungen mit ihren
Erklärungen zum Fall Semenya.
Doch das stimmt nicht, und
Sport-Experten wie Sportmedizin-Experten wissen dies genau: Das Geschlecht eines
Menschen wird durch das Zusammenspiel vieler Faktoren geprägt, genetische,
hormonelle, anatomische, psychische und soziale Faktoren haben gleichermaßen
Einfluss darauf. Kein Experte dieser Welt hat im Zweifelsfall, also dann, wenn
nicht alle Faktoren eindeutig in eine Richtung weisen, klare und sichere
objektive Kriterien für die Zuordnung als Mann oder Frau. Die Bewegung der
intersexuellen und der transsexuellen Menschen hat lange dafür gekämpft, dass
dies anerkannt wird. Als Reaktion darauf hat das Internationale Olympische
Komitee seit 2000 alle Geschlechtstests bei Sportereignissen abgeschafft.
Im Sport müssen klare Regeln
gelten. Diese Regeln müssen den Athletinnen und Athleten eindeutig sagen: Du
darfst starten - du darfst es nicht. Solche klaren Regeln für den Fall der
Caster Semenya hat die IAAF nicht. Die entsprechende Erklärung (IAAF POLICY ON
GENDER VERIFICATION) ist wolkig, enthält lauter schwammige Wörter. Von Fall zu
Fall müsse entschieden werden, eine individuelle Einschätzung müsse vorgenommen
werden. Die IAAF gesteht die Schwierigkeiten, im Zweifelfall Mann und Frau auf
der Basis von Tests klar voneinander zu unterscheiden, direkt ein.
Auf der Basis solch nebulöser
Vorstellungen wird nun Leben und Leistung einer jungen Sportlerin zerstört.
Caster Semenya ist 18 Jahre alt, ein Alter, mit dem sie in manchen Ländern
dieser Welt noch nicht als volljährig gilt. Die IAAF müsste solche jungen
Menschen eigentlich vor den Folgen einer weltweiten Stigmatisierung schützen.
Die 800-Meter-Läuferin Santhi Soundarajan hat ver-sucht, sich das Leben zu
nehmen, als ihr nach den Asienspielen 2006 die Medaille aberkannt wurde, weil
sie ein y-Chromosom hat - ein Befund, der nach-gewiesener Maßen völlig
unerheblich für den Sport und für die Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen ist.
Es ist endlich Zeit, dass der
Sport anerkennt: Es gibt keinen "Geschlechtstest". Aber es gibt Menschen, deren
Leben durch leichtfertige Funktionäre und eine sensationsgierige Öffentlichkeit
ruiniert wird.
Prof. Dr. Claudia Wiesemann
forscht und lehrt als Direktorin der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin
an der Universitätsmedizin Göttingen. Sie ist Medizinethikerin und Expertin für
Fragen der Intersexualität. Wiesemann ist Mitglied des Ethik-Beirats des
Europäischen Forschungsprojekts EuroDSD zur Erforschung der körperlichen
Ursachen von Intersexualität. Als Präsidentin der Akademie für Ethik in der
Medizin leitet sie eine wissenschaftliche Fachgesellschaft für Medizinethik mit
über 500 Mitgliedern aus Medizin, Philosophie, Theologie, Recht und anderen
Berufsgruppen.
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Autor und Copyright: Prof. Dr. Claudia Wiesemann
Foto: umg
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