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Bahnbrechende Entdeckung in der Herzmuskelforschung |
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Illustration der
interagierenden dicken und dünnen Filamente im Herzsarkomer auf der
Grundlage von strukturellen Kryoelektronentomographie-Daten. |
Forschenden gelingt erstes 3D-Bild des dicken Filaments des Herzmuskels und
erlangen damit ein besseres Verständnis der Funktionsweise von gesunden und
kranken Muskeln
Das menschliche Herz, oft als
Motor des Körpers bezeichnet, ist ein bemerkenswertes Organ. Es schlägt
unermüdlich und hält uns so am Leben. Im Innersten dieses lebenswichtigen Organs
laufen während der Kontraktion komplizierte Prozesse ab: Dicke und dünne
Proteinfilamente interagieren im Sarkomer, dem Grundbaustein sowohl der Skelett-
als auch der Herzmuskelzellen. Jede Veränderung in den dicken Filamentproteinen
kann schwerwiegende Folgen für unsere Gesundheit haben und zu Erkrankungen wie
der hypertrophen Kardiomyopathie und verschiedenen anderen Herz- und
Muskelkrankheiten führen. Ein internationales Team unter der Leitung von Stefan
Raunser, Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Physiologie in
Dortmund, in Zusammenarbeit mit Mathias Gautel vom King's College London, hat
einen bahnbrechenden wissenschaftlichen Durchbruch erzielt: Es ist ihnen
gelungen, das weltweit erste hochaufgelöste 3D-Bild des dicken Filaments in
seiner natürlichen zellulären Umgebung zu erstellen. Dies gelang ihnen mit Hilfe
der innovativen Technik Kryoelektronentomographie (Kryo-ET). Die Forschenden
haben dadurch noch nie dagewesene Einblicke in die molekulare Organisation und
Anordnung der Komponenten innerhalb des dicken Filaments erhalten. Die neuen
Erkenntnisse sind entscheidend für ein besseres Verständnis der Funktionsweise
von gesunden und kranken Muskeln. Das neue Wissen ermöglicht zudem die
Entwicklung neuer pharmakologischer Ansätze und Behandlungen, die auf Herz- und
Muskelerkrankungen abzielen.
Vorhofflimmern,
Herzinsuffizienz und Schlaganfall - die hypertrophe Kardiomyopathie kann zu
vielen schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden führen und ist eine der
Hauptursachen für den plötzlichen Herztod bei unter 35-Jährigen. "Das Herz ist
ein zentraler Motor des menschlichen Körpers. Natürlich ist es einfacher, einen
kaputten Motor zu reparieren, wenn man weiß, wie er aufgebaut ist und wie er
funktioniert", sagt Stefan Raunser. "Zu Beginn unserer Muskelforschung ist es
uns gelungen, die Struktur der wesentlichen Muskelbausteine und deren
Zusammenspiel mittels Elektronen-Kryomikroskopie sichtbar zu machen. Dabei
handelte es sich jedoch um statische Bilder von Proteinen, die aus der lebenden
Zelle entnommen wurden. Sie sagen nur wenig darüber aus, wie das hochvariable,
dynamische Zusammenspiel der Muskelbausteine den Muskel in seiner natürlichen
Umgebung bewegt", sagt Raunser.
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Struktur der dicken
Filamente in einem entspannten Herzsarkomer. Dünne Filamente sind mit
einem grünen und dicke Filamente mit einem violetten Pfeil markiert.
Oberes Bild zeigt tomographischen Schnitt. Mittleres und unteres Bild
zeigen Rekonstruktionen. |
Durch Dick und Dünn
Skelett- und Herzmuskel ziehen
sich zusammen, wenn zwei Arten paralleler Proteinfilamente im Sarkomer
zusammenwirken: dünne und dicke. Das Sarkomer ist in mehrere Bereiche
unterteilt, die als Zonen und Bänder bezeichnet werden. In diesen sind die
Filamente unterschiedlich angeordnet. Das dünne Filament besteht aus F-Aktin,
Troponin, Tropomyosin und Nebulin. Das dicke Filament wird aus Myosin, Titin und
dem Myosin-bindenden Protein C (MyBP-C) gebildet. Letzteres kann Verbindungen
zwischen den Filamenten herstellen, während Myosin, das sogenannte Motorprotein,
mit dem dünnen Filament interagiert und so Kraft und die Muskelkontraktion
erzeugt. Veränderungen in den Proteinen des dicken Filaments werden mit
Muskelkrankheiten in Verbindung gebracht. Ein detailliertes Bild des dicken
Filaments wäre von immenser Bedeutung für die Entwicklung von Therapiestrategien
zur Heilung dieser Krankheiten. Allerdings konnte ein solches Bild bisher nicht
gemacht werden.
Meilensteine in der Muskelforschung
"Wenn man die Funktionsweise
des Muskels auf molekularer Ebene vollständig verstehen will, muss man seine
Bestandteile in ihrer natürlichen Umgebung abbilden - eine der größten
Herausforderungen in der biologischen Forschung heutzutage, die mit
herkömmlichen experimentellen Ansätzen nicht zu bewältigen ist", sagt Raunser.
Um diese Hürde zu überwinden, entwickelte sein Team einen Arbeitsablauf für die
Kryoelektronentomographie, der speziell auf die Untersuchung von Muskelproben
zugeschnitten ist: Die Forschenden schockgefrieren Herzmuskelproben von
Säugetieren aus dem Labor von Mathias Gautel in London bei -175 °C. Dadurch
bleiben Hydratation und Feinstruktur ? also der ursprüngliche Zustand der
Muskelzellen - erhalten. Anschließend werden die Proben mit einem fokussierten
Ionenstrahl (FIB-Fräsen) auf eine ideale Dicke von etwa 100 Nanometern
ausgedünnt. Im Transmissionselektronenmikroskop werden dann mehrere Bilder
aufgenommen, während die Probe entlang einer Achse gekippt wird. Schließlich
rekonstruieren computergestützte Methoden ein dreidimensionales Bild mit hoher
Auflösung. Mit diesem maßgeschneiderten Arbeitsablauf konnte Raunsers Gruppe in
den letzten Jahren zwei bahnbrechende Studien veröffentlichen: Sie produzierten
die ersten hochaufgelösten Bilder des Sarkomers und eines bis dahin nebulösen
Muskelproteins namens Nebulin. Beide Studien liefern bisher unerreichte
Einblicke in die 3D-Organisation von Muskelproteinen im Sarkomer: Sie zeigen wie
Myosin an Aktin bindet, um die Muskelkontraktion zu steuern, und wie Nebulin an
Aktin bindet, um es zu stabilisieren und seine Länge zu bestimmen.
Das Bild fertigstellen
In ihrer aktuellen Studie
erstellten die Forschenden das erste hochaufgelöste Bild des kardialen dicken
Filaments, das sich über mehrere Regionen im Sarkomer erstreckt. "Mit 500 nm
Länge ist dies die längste und größte Struktur, die jemals mittels Kryo-ET
aufgelöst wurde", sagt Davide Tamborrini vom MPI Dortmund, Erstautor der Studie.
Noch beeindruckender sind die neu gewonnenen Erkenntnisse über die molekulare
Organisation des dicken Filaments und damit über dessen Funktion. Die Anordnung
der Myosinmoleküle ist abhängig von ihrer Position im Filament. Die Forschenden
vermuten, dass das dicke Filament dadurch in der Lage ist, zahlreiche
muskelregulierende Signale wahrzunehmen und zu verarbeiten. So könnte die Stärke
der Muskelkontraktion in Abhängigkeit von der Region im Sarkomer reguliert
werden. Sie zeigten auch, wie Titinketten entlang des Filaments verlaufen. Diese
verflechten sich mit Myosin, fungieren als Gerüst für dessen Zusammenbau und
orchestrieren wahrscheinlich eine längenabhängige Aktivierung des Sarkomers.
"Unser Ziel ist es, eines Tages
ein vollständiges Bild des Sarkomers zu zeichnen. Das Bild des dicken Filaments
in dieser Studie ist 'nur' eine Momentaufnahme im entspannten Zustand des
Muskels. Um vollständig zu verstehen, wie das Sarkomer funktioniert und wie es
reguliert wird, wollen wir es in verschiedenen Zuständen, z. B. während der
Kontraktion, untersuchen", schaut Raunser in die Zukunft. Der Vergleich gesunder
Proben mit denen von Patienten mit Muskelerkrankungen wird letztendlich zu einem
besseren Verständnis von Krankheiten wie der hypertrophen Kardiomyopathie und
zur Entwicklung innovativer Therapien beitragen.
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Originalpublikation:
Tamborrini D, Wang Z, Wagner T, Tacke S,
Stabrin S, Grange M, Kho AL, Rees M, Bennet P, Gautel M, Raunser S (2023).
Structure of the native myosin filament in the relaxed cardiac sarcomere.
Nature
Doi: 10.1038/s41586-023-06690-5. |
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Autor und Copyright: Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie
Fotos: MPI für molekulare Physiologie
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